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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Ärger bekam. Ich starrte in meine Teetasse und versuchte, meine brennenden Wangen zu verbergen. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Immer wenn ich an Alan dachte, fühlte ich, wie mir alles Blut ins Gesicht schoss, und ich hatte den unsinnigen Drang zu kichern und das Gefühl, als zwinge etwas meinen Mund zu grinsen, ob ich wollte oder nicht. Und ich dachte viel an Alan. Wenn ich die Wahl hatte, an ihn zu denken oder an die Puppen, dann wusste ich sofort, womit ich meinen Verstand beschäftigen wollte. Manchmal dachte ich auch an Lucy, aber das war … anders.
    »Was ist mit dir, Florence?«, fragte Violet. »Du siehst so gut gelaunt aus.«
    »Ich freue mich«, antwortete ich und setzte schnell hinterher: »Seit Sie gesagt haben, dass Ihre Nichte ins Haus kommen soll, frage ich mich, wie sie wohl ist, und ob wir uns auch gut verstehen werden. Es ist schön, endlich wieder ein anderes Mädchen um mich zu haben.« Ich schluckte, froh, dass Lucy das nicht hören konnte.
    »Das heißt«, sagte Rufus und spießte mich mit seinen Augen auf, »du vermisst ausgerechnet die anderen Waisen? Solltest du nicht froh sein, diese ungebildeten Gören hinter dir gelassen zu haben?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es war eine harte Zeit, aber eigentlich war ich ganz gerne in St. M–«
    »Still«, unterbrach mich Rufus. »Es ist nicht erwünscht, dass du den Namen dieses Ortes hier aussprichst. Du tust gut daran, ihn schnell zu vergessen. Es ist eine Zeit, die für dich vergangen ist, und eine Welt, in die du niemals wieder einen Fuß setzen wirst. Denke nicht mehr daran. Es war einmal.«
    Ich zwinkerte. Im Geiste setzte ich Margaret zu Janet auf die Liste unerwünschter Namen, aber vielleicht störten sie sich auch nur daran, dass mein Waisenhaus nach einer Heiligen benannt war, wo doch in Hollyhock nicht gebetet wurde. Am Sonntag würde ich sehen, ob wir wenigstens in die Kirche gehen würden – doch als ich im Geiste die Tage abzählte, begriff ich, dass der Sonntag schon lange vorbeigegangen war, als ein Tag wie jeder andere. Wir waren nicht im Gottesdienst gewesen. Einen Moment lang fühlte ich mich schlecht. Dann begriff ich, dass ich noch lebte, nicht tot umgefallen war, und dass Gott offenbar kein Problem damit hatte, mich nicht in der Kirche zu sehen.
    »Es ist noch ein Weilchen, bis unsere Nichte hier eintrifft«, sagte Violet, vielleicht froh, das Thema zu wechseln. »Sei bis dahin nicht zu ungeduldig und tue deine Arbeit.«
    Ich nickte. »Das werde ich«, sagte ich artig, und damit war dann mein Anteil am Frühstück auch schon wieder erledigt. Es gehörte zu den Sachen, an die ich mich immer mehr gewöhnte. Dennoch war ich froh um die Mahlzeiten, die ich mit dem Personal einnahm: Öfter als einmal am Tag unter Rufus’ Augen essen zu müssen, hätte ich auch nicht ertragen. Er redete nicht viel, erst recht nicht mit mir, aber allein sein Blick machte das Ganze schon ungemütlich. Sowenig ich auch Violet traute, sie war doch deutlich erträglicher, und dass sie vor dem Reden ihre Stimme mit Honig bestrich, nahm den Stich aus ihren Worten. Rufus hingegen …
    Ich war froh, wenn er mir nicht zu viel Aufmerksamkeit schenkte. Wenn ich in die Bibliothek wollte und sah, dass er schon darin war, fand ich eine Ausrede, um wieder zu gehen. All das war ein Teil der Routine geworden, die begonnen hatte, sich in mein Leben einzuschleichen, und die Dinge einfacher machte. Nur die Frage, ob ich nun in den Garten durfte oder nicht, hatte ich nicht mehr gestellt. Der Regen der letzten Tage hatte mir ohnehin die Lust auf Spaziergänge genommen, und mit dem Rätsel um die Puppen war ich beschäftigt genug. Aber schlechtes Wetter hin oder her, ich mochte die Vorstellung, mich am Nachmittag mit Alan aus dem Haus zu schleichen. Vielleicht machten wir ja sogar einen Ausflug in das nächste Dorf? Ich wusste nicht, wie ein Hausbursche seine drei freien Stunden verbringen würde, aber wenn Alan versprach, sich etwas auszudenken, konnte ich das Ergebnis kaum noch erwarten.
    Die Arbeit sollte bis dahin natürlich erledigt sein. Ich musste mich sputen, aber das sollte kein Problem darstellen: Ich war in der Lage, mich stundenlang mit einer einzelnen Puppe zu beschäftigen, um die Zeit totzuschlagen, aber jetzt, wo ich es so schnell wie möglich hinter mich bringen wollte, konnte ich auch einmal ein bisschen schludern. Es interessierte sich ohnehin niemand für meine Aufzeichnungen. Mehr und mehr gewann ich das Gefühl, dass meine sogenannte Arbeit

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