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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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die ihrer kindlichen Phantasie entspringen, aber sie begreift sie nicht.«
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich laut. »Wenn Sie wünschen, werde ich vor der Tür warten.«
    »Nein, Florence, Liebes, setz dich nur«, erwiderte Violet freundlich. »Ich habe nur meinem Bruder von deinen Fortschritten berichtet und von deinen Beobachtungen. Er interessiert sich auch für deine Aufzeichnungen.«
    Rufus’ Blick verriet mir, dass er genau das nicht tat. »Es wird einige Änderungen im Tagesablauf geben«, sagte er, und da er mit der Luft sprach, vermutete ich, dass er mich meinte. »Unsere Nichte wird bald hier eintreffen. Sie ist ein junges Mädchen in deinem Alter« – ja, er redete mit mir –, »und wir würden uns freuen, wenn du ihr etwas Gesellschaft leisten könntest.«
    Ich nickte mechanisch. Einerseits brauchte ich hier dringend eine Freundin, die mir half, all die Seltsamkeiten, die mich hier umgaben, zu verstehen, eine Freundin, wie ich seit Alicens Tod nicht mehr gehabt und auch nicht gewollt hatte. Andererseits hatte ich mir eigentlich schon ausgesucht, wer das sein sollte: Ich wollte Lucy, kein verwöhntes Gör, das wie eine Miniaturausgabe von Violet daherkam und mich sofort als mittelloses Waisenmädchen identifizieren und zu seinem persönlichen Besitz erklären würde. Dafür war ich mir zu gut. Natürlich, ich kannte diese Nichte noch nicht, und vielleicht tat ich ihr auch unrecht – aber selbst wenn sie nicht wie Violet war und mehr wie Rufus, war das bestimmt niemand, den ich zur Freundin haben wollte. »Das ist sehr schön«, sagte ich. »Werden Sie mir Bescheid sagen, wenn sie ankommt, oder soll ich mich grundsätzlich bereithalten?«
    Rufus schüttelte leicht den Kopf. »Du wirst informiert, wenn sie eintrifft. Sie ist verwaist, und du wirst dafür Verständnis haben, dass wir ihr ein Schicksal wie deines ersparen wollen. Darum haben wir uns entschieden, sie in unseren Haushalt aufzunehmen.«
    Zwischen den Zeilen versuchte ich, mir die Geschichte dahinter zusammenzureimen. Rufus und Violet waren Bruder und Schwester. Wenn das Mädchen ihrer beider Nichte war, musste es noch mehr Geschwister gegeben haben – und wenn erst jetzt von ihr die Rede war, hatte Rufus dann gerade nach London fahren müssen, weil es nach Miss Lavender schon wieder einen Todesfall in der Familie gegeben hatte? Sollte ich den beiden mein Beileid aussprechen, oder war das gerade fehl am Platz?
    »Ich freue mich schon auf ein wenig Gesellschaft«, sagte ich endlich. »Die Puppen sind nicht so sehr gesprächig.« Ich lachte kurz über meinen Witz, aber ich lachte allein.
    »Du wirst beizeiten informiert«, wiederholte Rufus. »Alles Weitere erfährst du dann. In jedem Fall wirst du behutsam mit unserer Nichte umgehen. Sie ist ein zerbrechliches Mädchen, war lange krank und muss erst langsam wieder an das Leben gewöhnt werden. Du bist laut, grob und ungestüm.« War ich das? »Eine kleine Portion davon wird ihr vielleicht guttun. Und den Rest davon erspare euch beiden, und uns.«
    Da waren wir also wieder. Sehen ja, hören nein. Ich stellte keine weiteren Fragen, auch wenn sie mir auf der Zunge brannten. Wenn ich dafür die Gelegenheit bekam, ein Mädchen, neugierig wie ich selbst, mit Fragen über die Familie zu löchern, würde mich das für vieles entschädigen.
    Danach war ich wieder Luft für die beiden, die Puppen kamen nicht mehr zur Sprache. Aber als ich später in das geheime Zimmer trat, um an die Arbeit zurückzukehren, sah ich sofort, dass etwas in meiner Abwesenheit geschehen war. Die Puppe, die ich Janet getauft hatte, war fort.
    Von dem Tag an verzichtete ich lieber darauf, Violet zu informieren, wenn mir an den Puppen etwas merkwürdig vorkam. Es war seltsam, aber irgendwie fühlte ich mich für die Puppen verantwortlich, und ich wollte nicht wissen, was aus Janet geworden war. Violet musste sie mitgenommen haben, und es gefiel mir nicht, dass sie es hinter meinem Rücken getan hatte – selbst wenn ich sie am Vortag noch hatte loswerden wollen. Natürlich, die Puppen gehörten ihr, nicht mir, es war also ihr gutes Recht. Sie konnte alles mit ihnen machen, ohne mich um Erlaubnis bitten zu müssen. Doch etwas stimmte hier nicht, und seit ich deswegen zu Violet gegangen war, hatte sie Gewissheit, dass ich es wusste. Und irgendwie machte mich das noch verwundbarer.
    Dass ich ein Lachen gehört hatte, blieb nicht das Letzte, was mit den Puppen nicht stimmte, und es war auch nicht das Letzte, das mir Angst machte.

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