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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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wohnten, laut zu rufen, selbst wenn sich gerade niemand sonst dort aufhielt. Rufus vermutete ich in der Bibliothek oder seinem Arbeitszimmer, und Violet musste in ihrem Salon regelrecht festgenäht sein. »Warum warst du heute nicht beim Essen?«
    »Mir war nicht gut«, log ich. Die Hand gegen den Leib gepresst, sah ich aus, als ob ich die schlimmsten Krämpfe haben musste. »Ich hatte mich etwas hingelegt. Aber was machst du hier oben?«
    Alan grinste. »Ich schlafe vielleicht im Keller, aber das heißt nicht, dass ich ihn niemals verlassen darf! Mr. Molyneux ist aus London zurück, seine Schuhe müssen geputzt werden. Das mache ich hier oben. Tom und Guy sind sich für so was zu fein.«
    Ich nickte, kam mir ziemlich dumm vor und fragte mich, wie ich da wieder herauskommen sollte. Wenn er mich jetzt fragte, wo ich hinwollte … »Viel Spaß dabei«, erwiderte ich lahm. »Es klingt zumindest besser als Nachttöpfe.«
    »Du siehst wirklich nicht gut aus«, sagte Alan. »Ganz blass und so. Ist irgendwas nicht in Ordnung? Wenn du krank wirst, melde dich bei Mrs. Arden. Die bringt hier jeden wieder auf die Beine. Ihre Medizin schmeckt natürlich nicht, aber wir, die wir hier arbeiten müssen, können uns nicht erlauben, einfach so krank zu werden.«
    War das ein Vorwurf? Weil ich ein weißes Kleid trug und man mich nie arbeiten sah? »Es ist nicht so, dass ich hier nichts mache«, sagte ich spitz. »Ich tue nur eben andere Sachen, von denen du nichts weißt.«
    »Ach?«, fragte Alan erstaunt. »Was denn?«
    Jetzt stand ich da. Ich mochte Alan und wollte ihn nicht einfach anlügen, und ich war selbst schuld, dass er fragte. Am liebsten hätte ich ihn in mein Zimmer mitgenommen, hätte ihm die Puppe gezeigt und den Spiegel, aber das konnte ich nicht, selbst jetzt, wo es aus mir hinausdrängte. »Ich …«, fing ich an, »ich lese Miss Molyneux vor. Ich kann sehr gut vorlesen.« Das stimmte zwar, zumindest die zweite Hälfte, aber wenn er jetzt anfing, nachzubohren … »Sie wartet auf mich, ich bin schon viel zu spät. Danke für den Hinweis mit Mrs. Arden, ich werde sie nachher fragen.« Ich versuchte, an ihm vorbeizukommen, aber Alan stand mitten auf dem Flur, und ich hatte Angst, dass, wenn ich ihn auch nur streifte, er sofort die verfluchte Puppe in meinem Hosenbund spüren würde. So machte ich stattdessen einen Schritt zurück und drückte mich gegen die Wand. »Gestern hattest du keine Zeit für mich«, sagte ich fest, »heute habe ich keine für dich.«
    »Es ist wegen diesem Mädchen, oder?«, fragte Alan. »Es hat etwas mit der Nichte zu tun, die erwartet wird?« Natürlich, so etwas sprach sich schnell herum. Aber ich schüttelte den Kopf, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.
    »Nein, ich soll wirklich nur Miss Molyneux vorlesen.«
    Endlich ließ er mich vorbei. Ich fühlte mich schäbig, ihn so angelogen zu haben – er war immer anständig zu mir und hatte Besseres verdient. Aber er ahnte nichts, sondern lächelte mich nur an. »Ich habe morgen meinen freien Nachmittag«, sagte er. »Drei Stunden, hättest du vielleicht Lust …«, jetzt errötete er, »in der Zeit irgendwas mit mir zu unternehmen? Ich weiß, ich darf mich nicht mit den weiblichen Dienstboten treffen, aber du bist ja eigentlich keiner, oder?«
    Ich nickte schnell. Die Vorstellung gefiel mir, und vielleicht kam ich dann auf andere Gedanken und vergaß für eine Weile die Puppen. Irgendetwas völlig Normales, Nettes, Menschliches zu erleben, das fehlte mir. Wenn es mit Alan war, umso besser. »Was schlägst du vor?«
    »Ich denk mir was aus«, sagte Alan. »Lass das meine Sorge sein, kümmer du dich um Miss Molyneux.«
    »Danke«, sagte ich, und als ich zur Treppe lief und von da aus zum Puppenzimmer, immer noch eine Hand gegen meinen Unterleib gepresst, damit niemand ahnte, mit was ich da schwanger war, konnte ich es plötzlich gar nicht mehr abwarten bis zum nächsten Tag. Natürlich gab es in diesem Haus Puppen, die einem die Haare zu Berge stehen ließen. Aber es gab auch Leute wie Alan oder Lucy.
    Am anderen Morgen beim Frühstück ertrug ich es kaum, Rufus oder Violet ansehen zu müssen. Sosehr ich mich vor den Puppen gruseln mochte, das eigentlich Unheimliche waren immer noch die Augen dieser beiden, und ich hatte Angst, dass sie mich nur ansahen und wussten, dass ich Geheimnisse vor ihnen hatte – wegen der Puppe, wegen Alan … Ich ahnte, dass sie das nicht gutheißen würden, aber es war der Hausbursche, der im Zweifelsfall den

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