Das Puppenzimmer - Roman
noch unter meinem Rocksaum hervorschaute.
Die einzige wirklich funktionierende Methode, die Puppe in mein Zimmer zu bringen, entdeckte ich, als ich mich halb auszog und sie mir in die Unterhose schob, dass sie oben herausschaute wie die Jungtiere des Kängurus auf den Bildern im Almanach. Es war kalt, hart, unbequem und in höchstem Maße ungehörig. Nervös schielte ich zur Tür und lauschte nach Schritten auf dem Flur – wenn jemand hereinkam, ausgerechnet während ich in meiner Unterwäsche dastand, mit hochgezogenem Kleid, ich würde vor Scham sterben. Schlimm, wenn es Violet wäre, aber unverzeihlich bei Rufus. Doch es gelang mir, das Kleid wieder einigermaßen herzurichten. Wenn ich den Bauch einzog, soweit ich konnte, sah ich vielleicht auch nicht gleich so aus, als ob ich ein Kind erwartete. Die Puppe drückte sich mir gegen den Unterbauch und schlug mit ihren Beinen gegen meine Schenkel, und ich betete, dass sie nicht eines Tages zum Leben erwachen und dieses Erlebnis einem Kind erzählen würde – sie, und auch keine der anderen Puppen, die dem Schauspiel mit größtem Interesse zu folgen schienen.
War es mir wirklich so wichtig, mich zusammen mit der Puppe im Spiegel sehen zu können? Wollte ich auch nur ein einziges dieser unheimlichen Dinger in dem Zimmer haben, in dem ich schlief? Immerhin hatte ich schon angefangen, seltsam zu träumen … Aber nun war die Schmuggelpuppe verstaut, all das hätte ich mir vorher überlegen können. Jetzt musste ich sie auch hinaufbringen. Ich presste einen Arm gegen meinen Körper, als ich die Tür hinter mir abschloss und zur Treppe schlich, und ging dabei vornübergebeugt – zugegeben, das war nicht gerade unauffällig, aber wenn mich jemand sah, konnte der denken, ich hätte Bauchschmerzen. So wie ich in den letzten Tagen gegessen hatte, würde sich niemand darüber wundern.
Und dann, wie so oft, war alle Vorkehrung unnötig. Niemand war in der Halle, auf der Treppe oder im oberen Flur, und ich hätte ebenso gut die Puppe offen in der Hand tragen können. Als ich oben in meinem Zimmer ankam, schämte ich mich fast der ganzen Schmuggelei, ich kam mir überaus dumm und kindisch vor. Wieder hoffte ich, dass niemand zur Tür hereinkäme – was seit meiner Ankunft noch kein einziges Mal geschehen war, und ich zog mich dort jeden Tag an und aus, ob mit Puppe oder ohne. Hastig zerrte ich die weißgekleidete Puppe aus meinen Unterhosen. Ihr Gesicht war so unschuldig wie früher, auch wenn sie Teile von mir hatte ertasten können, die bei ihr noch nicht einmal angedeutet waren, und ich wusste, sie würde mich nicht verraten.
Ich legte sie auf mein Bett, wo ich sie im Blick behalten konnte, rückte mein Kleid zurecht und versuchte, mit der Haarbürste, die ich in meiner Kommode gefunden hatte, meine Frisur in die gleiche Form zu bringen wie die der Puppe. Der Scheitel sollte nicht so schwer hinzubekommen sein … Eigentlich hätte ich jemanden gebraucht, der ein Photo von mir und der Puppe machte, ich wünschte mir schon so lange, dass jemand mich einmal photographierte, aber vermutlich würde ich eher auf dem Seil stehen. Ich war nicht reich genug, und auch nicht wirklich hübsch – anders als die Puppe, deren Gesicht so süß war, dass es eigentlich nicht sein konnte, dass wir uns wirklich ähnlich sahen. Ich hob die Puppe auf und trat mit ihr vor den Spiegel –
Und sah nur mich.
Meine erste Reaktion war, die Puppe weit von mir zu schleudern, auf das Bett, wo sie haarscharf auf der Kante liegen blieb, mit dem Gesicht nach unten. Dann versuchte ich, mich zu beruhigen, mir einzureden, dass ich mir das nur eingebildet hatte, dass es an dem alten und halbblinden Spiegel liegen musste. Bestimmt war einfach nur an der Stelle, wo die Puppe hätte sein sollen, das Silber abgeplatzt, ein stumpfer Fleck, der mich die Puppe nicht sehen ließ, und auch nichts anderes. Mit deutlichem Widerwillen und spitzen Fingern nahm ich die Puppe wieder auf, ich musste beweisen, dass es nur am Spiegel lag und sonst an nichts, dass ich sie nicht sah. Dann stand ich wieder dort und hob die Puppe höher, hielt sie mir vors Gesicht, dass ich durch ihre Haare hindurchblinzeln musste, um überhaupt etwas zu sehen. Doch aus dem Spiegel blickte mir nur mein eigenes ängstliches Gesicht entgegen; meine Hände sahen aus, als wollten sie einen Ball fangen – es gab keinen Zweifel mehr. Diese Puppe hatte kein Spiegelbild. Und etwas tief in mir wusste, dass das auch für alle anderen Puppen dort unten
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