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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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nur der Vorwand dafür war, dass ich mich mit den Puppen beschäftigte und hinterher auf jene zeigen konnte, die mir dabei aufgefallen waren. Wirklich, das hätten Violet und Rufus mir auch gleich sagen können! Ich war ja nicht blöd. Und wenn ich ohnehin über das, was ich da sah und hörte, schweigen musste, konnte ich ruhig wissen, um was es in Wirklichkeit ging.
    Ich ließ mir also nicht lang Zeit, um eine Puppe auszuwählen, sondern griff nach der nächstbesten. Aber schon, als ich sie hochhob, wusste ich, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Es war ein Gefühl, ähnlich intensiv wie bei der Janet-Puppe und doch das genaue Gegenteil davon. Kälte kroch mir den Arm hinauf und von dort direkt in mein Herz, dass ich es kaum erwarten konnte, die Puppe wieder auf dem Boden abzusetzen, und danach hätte ich sie am liebsten gar nicht mehr angefasst. Sie war nur eine Puppe, ein niedliches kleines Mädchen mit blonden Zöpfen, genauso schön und bleich wie die anderen, ihre Glasaugen genauso blau und tot, aber sie fühlte sich böse an, abgrundtief böse, schlimmer als jeder Mensch, den ich im Leben getroffen hatte. Ich musste schlucken, um den Kloß im Hals zu vertreiben, aber was blieb, war ein Gefühl von Angst und Verlassenheit. Ich war klein, kalt und hilflos und vollkommen allein. Verzweifelt versuchte ich, an Alan zu denken, mich wieder auf unseren gemeinsamen Nachmittag zu freuen, aber mein ganzer Kopf war voll von allem Schrecklichen, was mir im Leben widerfahren war.
    Dabei hatte ich all die Jahre im Waisenhaus ohne Tränen überstanden, ich kannte es nicht anders und war eigentlich immer ganz zufrieden mit dem, was ich aus mir gemacht hatte: Ich konnte über die Dinge lachen, so bitter sie auch sein mochten, und ich erinnerte mich an keinen Tag, an dem ich wirklich unglücklich gewesen war, seit ich gelernt hatte, nach vorn zu schauen und das Traurige hinter mir zu lassen. Aber stattdessen musste es sich irgendwo in einer Ecke meines Herzens verkrochen haben, und in dem Moment, als ich die Puppe hochhob, griff sie einfach in mich hinein und holte alles Schlimme und alles Leid hervor. Es brach über mich herein wie ein Gewitter aus heiterem Himmel. Ich konnte noch nicht einmal mehr weinen, nur ganz still dasitzen und zittern und fühlen, wie die ganze Welt schwarz und feindselig wurde.
    Ich schloss die Augen und wartete, dass es vorüberging. Langsam wich die Kälte in meinen Händen einem tauben Gefühl, fing mein Herz wieder an zu schlagen und das Blut durch meinen Körper zu fließen. Meine Fingerspitzen und Zehen kribbelten, als wären sie eingeschlafen. Aber neben mir am Boden lag immer noch die Puppe; den Kopf leicht zur Seite gedreht, schien sie mich zu beobachten, und es kam mir vor, als lächelte sie über mein ganzes Elend. Am liebsten hätte ich sie umgedreht, dass sie mich nicht mehr anblicken konnte, aber ich wollte sie nicht so schnell wieder berühren müssen. Mit unsicheren Fingern nahm ich mein Schreibzeug – Haare, Augenfarbe, alles Offensichtliche konnte ich aufschreiben, ohne sie anfassen zu müssen, und selbst die Größe konnte ich mit meinem Zollstock zumindest ungefähr auf Entfernung bestimmen. Aber damit war es nicht getan. Ich musste sie zumindest noch einmal aufnehmen, um sie an ihren Platz zurückzusetzen, es sei denn …
    Im Morgenzimmer fand ich nicht nur Violet. Auch Rufus war da, und zum ersten Mal war ich froh, sie beide anzutreffen. Sie schauten auf, als ich hereinkam, aber nach dem Gefühl von zuvor war selbst Rufus’ Blick warm und freundlich. »Entschuldigung«, sagte ich leise und hörte meine Stimme ebenso zittern, wie meine Hände es immer noch taten. »Aber es ist wegen der Puppen.«
    »Ja?«, sagte Rufus. »Was gibt es?«
    »Da ist eine, die würde ich Ihnen gerne zeigen«, sagte ich. »Ich glaube, etwas stimmt nicht mit ihr, und Sie sagten mir doch, ich solle Bescheid sagen –«
    »Schon gut«, erwiderte Rufus. »Spar dir deine Erklärungen. Wir werden es uns ansehen.«
    Nur Violet lächelte mich an. »Danke, dass du sofort gekommen bist«, sagte sie. »Du machst deine Arbeit gut.«
    Aber diesmal war mir das Lob egal. Ich wollte nur, dass sie kamen und die Puppe mitnahmen, dorthin, wohin Violet auch die letzte Puppe gebracht hatte. Ich wollte das Ding nicht mehr sehen müssen, sie nicht mehr anfassen, allein bei dem Gedanken begann ich zu frieren. Solange sie mich nicht zwangen, dieses Gefühl zu beschreiben, wollte ich versuchen, es ganz zu vergessen und mich wieder

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