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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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blaue Himmel und die ganzen Blumen. Alles glitzerte und strahlte, als freue sich die Welt, uns zu sehen, als wolle sie mir beweisen, dass sie in Wirklichkeit schön war, und ich fühlte, wie mein Herz wieder leichter wurde. Die Dienstbotentür ließ uns an der Seite des Hauses hinaus, im Schatten der Wand und von Büschen umgeben, damit so etwas Profanes wie ein Personaleingang nicht die verwöhnten Augen beleidigte, und dass uns Violet von ihrem Sofa aus dort nicht sehen konnte, selbst wenn sie immerzu aus dem Fenster schaute, machte mich diebisch glücklich.
    »Jetzt müssen wir aufpassen«, sagte Alan. »Waverly ist hier draußen, ich will nicht, dass er uns sieht. Wenn der hinter mein Geheimnis kommt, kann ich packen gehen, dann steh ich auf der Straße, und du weißt, ich hab nichts, wo ich hingehen kann.«
    »Was hast du denn gemacht?«, fragte ich. Waverly war der Gärtner, und die Vorstellung, dass der in meine Überraschung hineinrennen könnte, gefiel mir nicht.
    »Wart es ab.« Alan gluckste. »Wart es ab. Und jetzt mach die Augen zu.«
    Ich zwinkerte. Alan nahm sein Halstuch ab, ein rotgemustertes Stück Stoff, das nach Schweiß roch und nach Wärme und Arbeit. Als er mir damit die Augen verband, fiel mir nichts Besseres ein, als zu kichern wie ein kleines Mädchen. Es war lange her, dass ich zuletzt Blindekuh gespielt hatte, aber in diesem Moment, als das Licht vor meinen Augen verschwand, konnte ich endlich die Dunkelheit loslassen, die sich an diesem Tag in mir angestaut hatte. Sie ging, ohne dass ich Alan erzählen musste, was er nicht wissen durfte – sie ging, weil das Glück kam und ihr keine Chance mehr ließ, von mir noch länger Besitz zu ergreifen.
    Eigentlich hätte mich Alan nicht zu führen brauchen, nur ansagen, wo es hinging. Jetzt war endlich der Moment zum Angeben gekommen: Dank all der Übung, die ich im Balancieren hatte, hätte ich Alan zeigen können, dass ich ganz sicher auf den Beinen war und nicht stolpern würde, aber dafür hätte ich seine Hand loslassen müssen, und das wollte ich auch wieder nicht. Es gefiel mir, dass er da etwas Geheimnisvolles für mich vorbereitet hatte, und es war mir schon fast egal, wo wir am Ende herauskommen würden. Dass ich jemandem so wichtig sein sollte, war etwas Neues. Nicht wie bei Rufus oder Violet, für die ich auch nur jemand war, der für sie arbeitete – hier ging es nur um mich, und das war schön.
    Alan führte mich linksherum und rechtsherum und im Kreis, um meine Sinne zu verwirren. Ich roch Grün, Rosen und etwas Süßes, Würziges, dem ich keinen Namen geben konnte. »Vorsicht!«, sagte Alan und: »Kopf einziehen!«, und lotste mich sicher dorthin, wo er mich haben wollte. Ich tat alles, was er mir sagte, und fragte mich gleichzeitig, ob ich das nicht auch so machen sollte: Alan die Augen verbinden und ihn in das Puppenzimmer führen, damit er nicht sagen konnte, wo er war, oder wie dort hingekommen …
    »So«, sagte er, »wir sind da. Du darfst jetzt wieder gucken.« Ich wartete, bis er mir das Halstuch abgenommen hatte, dann, während er es sich wieder umknotete, blickte ich mich um. Grün nach allen Seiten – wir waren von Hecken umgeben. Ein kleiner Durchgang führte aus dem runden Raum hinaus, und dahinter grünte es genauso fröhlich. Ich musste nicht fragen, wo ich war, ich wusste es auch so. Alan hatte mich in das Herz des Labyrinths geführt. Es gab also doch einen Eingang.
    Und er hatte den Ort hübsch herausgeputzt: Wann auch immer er die Zeit dafür gefunden hatte, es war ein Tischtuch am Boden ausgebreitet, rotkariert, nicht das edle Leinen der Herrschaften, aber doch sicher nichts, was Mrs. Arden gern auf dem erdigen Boden des Labyrinths gesehen hätte. Ich sah Moos, Steine, einzelne Grasbüschel, aber insgesamt hätte ich Schlimmeres erwartet. So verwildert, wie der Garten war, hatte ich gedacht, auch der Irrgarten müsse komplett zugewachsen sein, aber hier drinnen sah es aus, als könne der Zahn der Zeit den Eibenhecken nichts anhaben.
    Ich freute mich, endlich dort angekommen zu sein, wo ich die ganze Zeit über hingewollt hatte, und war doch seltsam enttäuscht: Ich war hergeführt worden, statt mir selbst den Weg zu erkämpfen und das Labyrinth zu erobern, und wusste noch nicht, wo auch nur der Eingang war. Dieser ruhige, grüne Flecken Welt hätte die Belohnung für Schweiß und Tränen sein müssen. Aber sei’s drum – dass ich jetzt ohne eigenes Zutun hier war, nahm dem Ort wenigstens nicht das

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