Das Puppenzimmer - Roman
ihnen wegkam, würde ich vor Alpträumen kein Auge mehr zubekommen.
»Und wenn du mehr Puppen findest wie diese«, sagte Rufus, dem ein Dankeschön sicher nicht so schnell über die Lippen kommen würde, »setzt du sie dazu. Wie du schon sagst, sie sind böse. Aber auch dem Bösen lässt sich immer etwas Gutes abgewinnen. Wenn es an der Zeit ist, werde ich dir zeigen, wie.«
Ich starrte zu Boden. Meine Hände brannten vor Kälte. Wenn Rufus entschied, dass die Zeit gekommen war, würde ich vielleicht das Geheimnis dieser Puppen erfahren – aber in diesem Moment wünschte ich mir, nie wieder auch nur ein Wort von ihnen hören zu müssen.
Achtes Kapitel
Wenn mir jemals nicht danach zumute war, mich mit einem Jungen zu treffen, dann in diesem Moment. Und dabei war es doch das erste Mal in meinem Leben, ich war noch nie zuvor mit jemandem ausgegangen. Aber ich konnte nicht einfach da weitermachen, wo ich aufgehört hatte, und so tun, als wäre nichts geschehen. Ob meine Puppen ein Spiegelbild hatten oder nicht, konnte mir ziemlich schnurz sein, aber dieses Gefühl, wie die Kälte in mich hineinkroch – das konnte ich nicht einfach so wieder vergessen und mich in die Arme des nächstbesten Kerls schmeißen.
Mir war immer noch kalt bis in die Knochen, und als ich im Keller unter der Treppe auf Alan wartete, tat ich das nur, um ihm zu sagen, dass er seinen freien Nachmittag ohne mich verbringen sollte. Es reichte schon, dass ich mir selbst den Tag verdorben hatte – da wollte ich nicht auch noch Alan den Spaß zunichtemachen. Ich hatte jeden Nachmittag frei, wenn ich das wollte, er nur an diesem einen Tag. Den sollte er genießen, und dabei wollte ich ihm nicht im Weg stehen. Ich seufzte. Diesen Tag hatte ich mir wirklich anders ausgemalt. Unter der Treppe hatten wir uns zum ersten Mal getroffen, und jetzt würde es vielleicht das letzte Mal sein. Ich konnte Alan nicht sagen, warum ich ihn versetzen wollte, und wenn er dann sauer auf mich war …
Auf das mittägliche Abendessen hatte ich verzichtet, wieder einmal. Nicht, weil ich mich nicht getraut hätte, Alan zu begegnen, aber weil ich keinen Bissen runtergebracht hätte. Wirklich, was das Essen anging, musste ich eine Lösung finden. Auf jeden Tag mit einer warmen Mahlzeit kam mindestens einer ohne, und ich konnte nicht nur vom süßen Frühstück leben. Ich musste herausbekommen, wie ich heimlich in die Speisekammer gelangen konnte, um mir einen kleinen Vorrat für Notfälle anzulegen. Jetzt saß ich da, wartete auf Alan, hatte Bauchschmerzen und hasste mein Leben.
»Da steckst du ja«, sagte Alan hinter mir und legte mir eine Hand auf die Schulter, dass ich zusammenzuckte. »Es hat leider etwas länger gedauert, Mr. Trent wollte mich nicht gehen lassen, aber hier bin ich. Danke, dass du gewartet hast.«
»Mhm«, sagte ich ausweichend. Er wirkte so aufgeregt, so glücklich, sein Gesicht glühte richtig, und es war eine Wärme in ihm, von der ich gerade so gern etwas abbekommen hätte, damit sie das Kalte aus mir hinaustrieb.
»Ich habe eine Überraschung für dich«, redete Alan weiter. »Aber wir müssen uns beeilen. Wenn Mrs. Arden uns hier zusammen erwischt, gibt es mächtig Ärger.«
»Wo willst du denn hin?«, fragte ich, anstatt ihm endlich zu sagen, dass ich nicht mitkommen würde. Aber wollte ich das wirklich …?
»Erst mal nach draußen, den Rest verrate ich dir später.«
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Letztes Mal, als ich nach draußen wollte, hat mich Mr. Trent in der Bibliothek eingesperrt.«
Alan lachte nur. »Der? Der wird nichts von uns sehen, bis wir wieder zurück sind, pünktlich in drei Stunden, wenn meine freie Zeit vorbei ist. Trent hält die Vordertür im Auge, aber da darf ich sowieso nicht durch. Wir gehen hintenrum raus.« Er wartete nicht mehr ab, was ich zu sagen hatte. Stattdessen packte er mich bei der Hand und zog mich durch den Kellerflur, hin zum Dienstbotenausgang. Ich kam gar nicht dazu, ihm zu widersprechen, und wollte es auch gar nicht mehr. Seine Hand war so fest, so warm, sie gab mir all das Leben zurück, das ich an diesem Tag verloren zu haben glaubte, und die Wahrheit war, ich wünschte mir, er würde mich gar nicht mehr loslassen.
Und wirklich, niemand hielt uns auf, kein Mr. Trent schloss die Tür ab, keine Mrs. Arden versperrte uns den Weg, wir konnten einfach hinausgehen, und draußen wartete die Sonne auf uns. Ich hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass der Regen aufgehört hatte, aber da waren der
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