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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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darauf zu freuen, dass ich einen schönen Nachmittag mit Alan erleben sollte. Ich wollte die Puppe aus dem Kopf bekommen, doch die Puppe war dagegen. Sie hatte einmal meine Aufmerksamkeit bekommen, jetzt krallte sie sich daran fest und wollte mich nicht mehr hergeben, selbst jetzt, wo ich nicht mehr bei ihr im Zimmer war. »Wenn Sie mit mir kommen möchten …«, murmelte ich, und dann führte ich die beiden ins Puppenzimmer. »Da ist sie.«
    »Was macht die Puppe auf dem Fußboden?«, fragte Rufus. Es war das erste Mal, dass er in das Zimmer kam, seit ich meine Arbeit aufgenommen hatte, und natürlich wusste er noch nicht, wie ich dabei vorging – nicht, dass er sich jemals dafür interessiert hätte …
    »Ich arbeite am Boden«, antwortete ich. »Da habe ich mehr Platz.«
    »Das geht nicht«, sagte Rufus. »Du bekommst einen Tisch. Allein die Vorstellung, dass diese kostbaren Puppen achtlos auf dem Fußboden liegen – heb sie auf!«
    Ich kniff die Lippen zusammen und rührte mich nicht.
    »Hörst du nicht?«, fuhr Rufus mich an. »Ich sagte, heb sie auf!«
    »Ich kann nicht«, hörte ich mich flüstern. Vor Rufus hatte ich Angst, aber in diesem Moment nicht halb so viel wie vor der Puppe. Was sollte Rufus tun, mich ohrfeigen? Sollte er doch! Es war kein Vergleich zu dem, was die Puppe mit mir machen würde. »Sie ist böse.«
    »Das ist mir egal«, sagte Rufus. »Sie kann da nicht bleiben. Du hast sie dort hingelegt, auf den schmutzigen Teppich, du hebst sie auch wieder auf. Wie du das tust, ist mir egal.«
    »Wollen Sie die Puppe nicht haben?« Verzweifelt blickte ich von Rufus zu Violet und zurück. Natürlich, ich hätte ihnen nicht sagen dürfen, dass sich die Puppe böse anfühlte, es war kein Wunder, dass die beiden nicht so versessen darauf waren, das Ding an sich zu nehmen. »Sie haben die andere Puppe doch auch mitgenommen.« Ich wusste es besser, als noch einmal den Namen Janet auszusprechen, aber Violet sollte auch so wissen, welche Puppe ich meinte.
    »Heb die Puppe auf«, sagte Rufus noch einmal, »und ich werde dir zeigen, was du mit ihr zu tun hast.«
    Ich sah Violet leicht den Kopf schütteln. »Das kann sie noch nicht, es ist zu früh …«
    »Wann es an der Zeit ist, werde ich entscheiden«, sagte Rufus kalt. Dann sah er mich an, dass mir ein Schauder durch den ganzen Körper fuhr. »Mädchen, heb die Puppe auf.« Und ich gehorchte.
    Mir blieb keine Wahl mehr. In diesem Moment wollte ich alles tun, was Rufus mir sagte, ohne mich zu wehren, ohne Fragen zu stellen, es war ein Befehl, der keinen Widerstand duldete. In Rufus’ Stimme schwang etwas mit, das ich nicht benennen konnte, aber es machte mich absolut folgsam, wie einen abgerichteten Hund. Meine Beine gingen zur Puppe hinüber, ohne dass ich es ihnen sagen musste, mein Rumpf beugte sich zu ihr hinunter, meine Hände griffen nach ihr, und da war es wieder, das Gefühl absoluter Schwärze, die Nacht, die mich packte und nicht mehr losließ. Aber diesmal war es schlimmer als beim ersten Mal, vielleicht weil ich schon wusste, was auf mich zukam, vielleicht auch, weil ich gleichzeitig die Augen von Rufus und Violet auf mir fühlte, interessiert und mitleidslos, so wie die Spinne der Fliege zusah, die versuchte, sich aus dem klebrigen Netz zu befreien. Ich bildete mir ein, dass sie lächelten, aber vielleicht war es auch nur das Gefühl, dass die ganze Welt mich hasste.
    »Gut«, sagte Rufus. »Jetzt setz sie auf die Vitrine dort. Ganz oben ist Platz, und dort können wir sicher sein, dass nichts an sie herankommt, bis wir sie benötigen.«
    Immer noch so folgsam wie ein Automat, trug ich die Puppe zur Vitrine; ich musste mich auf die Zehenspitzen stellen, um sie auf das oberste Bord zu setzen. Es war genau das, was ich nicht haben wollte: Statt dass ich die Puppe loswurde, thronte sie nun ganz oben und schaute auf das Zimmer hinunter. Was immer ich von nun an tat, sie konnte und würde mir dabei zusehen. Ihre Kälte saß mir in den Händen und Armen, und ich fühlte einen Schmerz, der aus meinem Herzen zu kommen schien und in den ganzen Körper abstrahlte: Kummer und Verlust und alles Elend der Welt. Bis zu diesem Tag hatte ich nicht geglaubt, dass Puppen wirklich böse sein konnten. Jetzt wusste ich es besser. Ich konnte es nicht erwarten, hier hinauszukommen, nicht nur aus dem Zimmer, sondern aus dem Haus, so weit, dass ich Hollyhock nicht mehr sehen konnte. So oft schon hatten die Puppen mich das Fürchten gelehrt, wenn ich jetzt nicht von

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