Das Puppenzimmer - Roman
dem Flaschenhals gegen meine Vorderzähne, zum Glück nicht fest. Aber Alan sah es und lachte mich aus. »Hast du noch nie aus der Flasche getrunken?«
»Wann denn?«, fragte ich, etwas verärgert, und nahm noch einen Schluck, um Alan zu zeigen, dass ich es konnte. Der Wein brannte nicht, wie es der Cognac getan hatte, und ließ sich deutlich besser trinken. Natürlich musste ich aufpassen, es nicht zu übertreiben, aber vor Alan brauchte ich keine Angst zu haben, und wenn ich schon das erste Mal in meinem Leben betrunken sein sollte, dann doch am besten mit einem netten Burschen wie Alan, der auf mich aufpasste.
»Hast du überhaupt schon mal Wein getrunken?«, fragte Alan, immer noch breit grinsend. »Der hier ist nämlich richtig gut, weißt du?«
»Oh, ich habe schon oft Wein getrunken«, behauptete ich, weil ich es leid war, dass er mich für ein kleines Mädchen hielt. Es stimmte ja auch, wenn man den winzigen Schluck Messwein bei der Kommunion zählte. Dieser Wein hier war in jedem Fall besser als das, was es in der Kirche gab, aber dazu gehörte wohl auch nicht viel. Mir fiel wieder ein, dass ich den Gottesdienst verpasst hatte, und auch wenn ich so tat, als wäre das nicht schlimm, verursachte es mir doch ein schlechtes Gewissen. Ich würde vor dem Zubettgehen beten, um meine Seele zu erleichtern. Violet und Rufus brauchten ja nichts davon zu wissen.
»Na, dann weißt du ja, wie du damit umgehen musst«, sagte Alan und feixte dabei so sehr, als würde er weder sich selbst noch mir glauben. Er selbst nahm nur noch einen Schluck, um die Pastete herunterzuspülen, dann drückte er den Korken in seine Flasche zurück. »Ich darf nicht so viel«, sagte er entschuldigend. »Das ist ja nur mein freier Nachmittag, heute Abend muss ich wieder an die Arbeit, für das Essen der Herrschaften wird jede Hand gebraucht einschließlich meiner, und dann will ich nicht, dass irgendjemand merkt, dass ich den Wein geklaut habe. Wenn du willst, kannst du meinen auch noch haben.«
Ich wehrte mit beiden Händen ab. Es war nicht so, als ob ich meine Flasche auch nur ansatzweise geleert hatte! »Schieb sie in die Hecke zurück und trink sie beim nächsten Mal«, sagte ich und hatte keine Ahnung, wann das sein würde – in der nächsten Woche? Oder erst in einem Monat?
»Bis dahin findet Waverly sie«, sagte Alan und seufzte. »Ich weiß, dass er sich gerade sehr um den Irrgarten kümmert.« Mit dem Gärtner musste ich mal ein Wort reden! »Wir können froh sein, wenn er uns hier nicht aufstöbert. Aber das Risiko ist es mir wert, ich will zumindest drei Stunden lang so tun können, als wäre ich ein König.«
Ich trank meinen Wein und sah Alan zu, wie er dasaß, ganz entspannt und zufrieden. Das bewunderte ich an ihm, dass er aus jeder Lage das Beste herausholte. Aber so war ich auch, eigentlich, und ich musste ihn nicht beneiden, außer um seine Hosenträger.
»Du brauchst dich nicht meinetwegen zurückzuhalten«, sagte Alan. »Du hast ja heute nicht mehr zu arbeiten, kannst gemütlich den Tag ausklingen lassen, und niemand wird dich fragen, ob du Wein getrunken hast oder wo der hergekommen ist. Du hast wirklich ein feines Leben, weißt du das?«
Aber da sprach er mit der Falschen. An jedem anderen Tag hätte ich ihm recht gegeben, dass er sicherlich härter und schwerer schuften musste als ich, aber in diesem Moment hätte ich sofort mit ihm tauschen mögen. Natürlich, er machte die Drecksarbeit in Hollyhock, aber er musste nicht das Gefühl haben, dass ihm alles Übel der Welt ins Herz fahren wollte. Und ehe ich michs recht versah, sagte ich ihm das auch. Beinahe. »Du hast gut reden!«, sagte ich und lachte bitter. »Die Sachen, mit denen ich hier jeden Tag zu tun habe, die siehst du sonst nur in deinen Alpträumen!« Erschrocken brach ich ab, hatte ich zu viel verraten?
»Was denn für Sachen?«, fragte Alan, und da hatte ich das Schlamassel. Jetzt würde er so lange bohren, bis er die Wahrheit aus mir herausgekitzelt hatte. »Meinst du in den Büchern, die du vorlesen musst?«
Ich schüttelte den Kopf. Bloß nicht in Panik geraten. Ich nahm einen Schluck, um Zeit zu schinden, und sagte dann: »Die Geister, meine ich. In Hollyhock spukt es. In meinem Zimmer. Und in der Bibliothek.« Damit hatte ich zwei Räume, von denen ich annehmen konnte, dass sich Alan dort nicht so gut auskannte.
Er lachte nur. »Ach, Florence, es spukt doch überall. Das musst du nicht ernst nehmen. Diese armen heulenden Gespenster, die tun
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