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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Geheimnisvolle.
    Unter dem Tischtuch zeichneten sich große flache Steine ab, von denen ich mir vorstellte, dass es Grabsteine sein konnten, und als mir Alan mit einladender Geste bedeutete, mich dort niederzulassen, raffte ich grazil meine Röcke und glitt zu Boden wie eine verwelkende Blume. Ich achtete darauf, dass Kleid und Unterrock auf dem Tuch zum Ruhen kamen, damit sie nicht verschmutzt wurden und ich auch am nächsten Tag noch Rufus’ prüfendem Blick standhalten konnte, wenn er wie an jedem Morgen meine Hände auf Sauberkeit überprüfte, ehe ich zu meinen Puppen durfte. Ich hatte zwar noch ein letztes Kleid in Reserve, aber trotzdem wollte ich nicht schon wieder eines ruinieren.
    »Na?«, meinte Alan. »Was sagst du nun?« Er setzte sich mir gegenüber, faltete seine langen Beine zum Schneidersitz zusammen, während ich ganz damenhaft halb saß, halb kniete – in dem Kleid hatte ich keine große Wahl, wollte ich nicht gegen alle guten Sitten verstoßen.
    »Ich …«, sagte ich. »Ich bin sprachlos.« Das wollte ich schon lange einmal sagen. Womit auch immer ich gerechnet hatte, gewiss nicht mit einem Picknick im Irrgarten. Ich hatte schon Menschen picknicken sehen, im Park, aber das hatte immer etwas Liederliches an sich und war nichts, was Miss Mountford hatte gutheißen können – undenkbar, etwas Derartiges mit 60 Waisenmädchen zu machen! Und alleine ging es natürlich nicht, oder machte einfach keinen Spaß, aber das hier – das sollte großartig werden. Mir ging es gleich viel besser, nur ein kleines Eckchen meines Verstandes musste immer noch an diese schreckliche Kälte denken, aber ich beschloss, diese Stimme einfach nicht mehr zu Wort kommen zu lassen.
    »Den hier habe ich auch reingeschmuggelt«, sagte Alan und zog einen Korb aus dem Schutz der Hecke. Ich fühlte die Oberfläche des Tuches unter mir, sie war so rauh, als hätte es tüchtig auf den Stoff geregnet und wäre dann in der Sonne getrocknet, und ich vermutete, dass Alan die Sachen schon am Vortag oder noch früher in den Garten gebracht haben musste. Was für ein Glück, dass wir jetzt wieder gutes Wetter hatten! »Du wirst noch Augen machen.« Dann fing er an auszupacken. »Ich habe weder Besteck noch Geschirr«, sagte er entschuldigend. »Mr. Trent zählt das Silber, und Mrs. Arden lässt niemanden an die Teller, aber wir haben unsere Finger, das macht dir doch nichts aus, oder?«
    Was er hervorzauberte, unter einer großen Serviette, waren drei Pasteten, von denen jeweils ein Stück fehlte, und zwei Weinflaschen. Ich starrte auf die Kostbarkeiten und bekam endlich wieder Hunger. Die Puppe hatte mir für eine Weile den Appetit verhagelt; wenn ich jetzt wieder an Essen denken konnte, hieß das, der böse Zauber war endgültig gebrochen. »Wo hast du das her?«, fragte ich, während mir das Wasser im Mund zusammenlief. Pasteten, richtige große Pasteten, mit Fleisch gefüllt – so etwas wollte ich immer schon einmal probieren.
    Alan grinste und sah dabei noch verstrubbelter aus als sonst. Wo die Lakaien ihren Scheitel mit Wasser kämmen mussten, schien es ihm zu reichen, sich einmal mit den Fingern durchs Haar zu gehen, und gut war’s. »Ich würde ja sagen, das ist mein Geheimnis, aber dann könnte ich jetzt nicht angeben«, sagte er stolz. »Die Weinflaschen habe ich aus dem Keller geklaut. Sie sind beide schon angebrochen, nicht dass du dich wunderst, aber Mr. Molyneux lässt lieber eine neue Flasche auftischen, als sich um die Reste zu kümmern, auch wenn die noch gut sind. Dann trinkt er nur ein Glas, und Milady gar nichts, und ehe die im Keller sauer werden, reiße ich sie mir lieber unter den Nagel. Darf nur keiner wissen, aber ich denke, wenn’s auffällt, kommen eher Tom oder Guy in Verdacht, und denen geschieht das nur recht.« Er lachte vergnügt. »Und die Pasteten, mit denen ist das genauso. Willst du wissen, warum Mrs. Doyle immer so miese Laune hat? Sie kocht sich die Seele aus dem Leib, um den Herrschaften was Schönes auf den Tisch zu bringen, und die lassen immer die Hälfte zurückgehen oder noch mehr – wenn du dich mal gefragt hast, warum die so schmal sind, die essen wie Spatzen, alle beide. Einen Teil der Reste schmeißt Mrs. Doyle dann in unseren Eintopf, aber die Pasteten hier, die sollten an die Schweine gehen.«
    »Schweine?«, fragte ich. In Hollyhock hatte ich noch nicht einmal eine Katze oder einen Hund gesehen, geschweige denn Schweine.
    »Natürlich Schweine! Sind ein paar anständige Tiere, die

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