Das Puppenzimmer - Roman
doch keinem etwas zuleide.«
Ich biss mir auf die Lippen, aber ich schaffte es dennoch nicht, meinen Mund zu halten. »Dafür habe ich jeden Tag mit Violet und Rufus zu tun!« Wollten wir uns jetzt streiten, wessen Leben härter war? »Mr. und Miss Molyneux, meine ich natürlich. Neulich hat sie mich geschlagen, Violet, dabei habe ich nichts weiter getan, als den Namen von Lucy auszusprechen, Janet, weißt du?« Alan sagte nichts, er schaute mich nur mitleidig an, dass ich weiterredete: »Und Margaret mögen sie auch nicht hören, dabei war das der Name von meinem Waisenhaus – ich verstehe die beiden nicht, wirklich, warum können sie nicht so sein wie andere Leute?«
Ich wusste, dass ich zu viel redete, aber es tat so gut, das endlich einmal rauszulassen! Auch meine merkwürdigen Träume kamen nur daher, dass ich alles in mich reinfressen musste und mit keinem reden durfte, aber wenn ich die Träume mit dem verglich, was mit den Puppen in Wirklichkeit los war, erschienen mir die Träume fast wieder normal. Meine Träume wollte ich Alan jetzt nicht gleich verraten, aber was die anderen Sachen anging …
»Du behältst das doch für dich, oder?«, fragte ich, nur zur Sicherheit. »Du sagst keinem etwas davon, oder?«
Alan schüttelte den Kopf. »Wem sollte ich denn etwas sagen? Das bleibt unser Geheimnis, du kannst mir vertrauen, das weißt du doch.« Er benutzte eine Hand, um sich am Boden aufzustützen, die andere lag auf seinem linken Bein. Ich wünschte mir, sie läge auf meinem, aber ich hatte noch Anstand genug, um das nicht zu sagen. Überhaupt war ich sehr zufrieden damit, wie gut ich den Wein vertrug. Ich mochte dieses warme Gefühl in mir, vor allem nach der entsetzlichen Kälte, und konnte dabei nicht verleugnen, dass mir ein bisschen schummrig war, aber wirklich, ich hatte Schlimmeres erwartet, und solange das nicht mehr wurde … war dieser Schwindel eigentlich ein gutes Gefühl. Etwas seltsam für mich, weil ich normalerweise schwindelfrei war, aber hier im Irrgarten, wo es weit und breit keine Treppengeländer zum Balancieren gab, machte das nichts aus. Aber ich hatte die Flasche fast leer getrunken, und dafür hielt ich mich wirklich gut. Natürlich, sie war auch nicht mehr voll gewesen, aber trotzdem …
Ich beugte mich zu Alan vor, zum einen, weil ich flüstern wollte, und zum anderen, um ihm näher zu sein. Wenn wir schon einmal hier waren, wo niemand uns sehen konnte und keine Miss Mountford, keine Mrs. Arden und kein Mr. Trent dazwischengehen würde, konnte ich auch einmal im Leben einen Jungen berühren. Und wenn er nicht seine Hand auf mein Bein legen wollte, dann konnte ich das bei ihm machen. »Weißt du was?«, fragte ich. »Willst du ein Geheimnis hören?«
»Das kommt auf das Geheimnis an«, sagte Alan, »und wie geheim es ist.« Er legte seine Hand auf meine. Sie war warm, und ich fühlte ein paar Bröckchen Erde an ihr kleben. »Und natürlich auch darauf, was mit mir passiert, wenn jemand erfährt, dass ich es weiß.«
Ich musste lachen und wusste nicht, warum. »Rufus wird dich umbringen«, sagte ich. »Ganz bestimmt wird er das.« In dem Moment kam mir das lustig vor. »Soll ich es dir trotzdem verraten?« Ich wollte, dass er nickte. Es musste raus, endlich, ein und für alle Mal. Und wirklich, Alan nickte.
»Dann werde ich doppelt aufpassen, dass es niemand erfährt«, sagte er, ganz leise und ganz ernst. »Du kannst es mir verraten, aber bitte, gib auf dich acht. Mir ist nicht ganz wohl, wenn du so ein Geheimnis mit dir rumschleppen musst.«
»Ich habe ja vorhin gesagt, es spukt hier«, sagte ich, »und die Wahrheit ist, das stimmt sogar – aber es ist kein Geist, es sind Puppen. Kannst du dir das vorstellen? Ein ganzes Zimmer voller Puppen. Niemand weiß, dass es da ist, und niemand darf es betreten außer mir … na ja, und Violet und Rufus natürlich, aber sonst niemand. Die Puppen sehen ganz normal aus, also so normal, wie das bei Puppen geht, weißt du, Puppen sind ja immer irgendwie gruselig, aber diese … die sind wirklich ganz und gar gruselig.«
Und dann, nachdem ich einmal angefangen hatte, erzählte ich Alan alles. Keine Sekunde lang fürchtete ich, dass ich deswegen in Schwierigkeiten geraten könnte; ich wusste, wenn Alan mir sein Wort gab, dann würde er auch wirklich nichts weitererzählen. Genauso, wie ich Rufus und Violet mein Wort gegeben hatte … Aber das zählte nicht. Ich hatte ja keine Wahl gehabt; hätte ich » Nein « gesagt, wäre ich schneller
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