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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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hätte und hin und her wirbelte.
    Alan hatte Mitleid mit mir, selbst wenn er mich dabei auslachte. Hätte ich nur nicht so getan, als hätte ich schon hundertmal Alkohol getrunken! So war ich selbst schuld, dass er mich nicht gewarnt hatte. Aber ich war noch jung, und das war mein erstes Mal. Ich würde mir das merken, für die Zukunft. Er nahm mich beim Arm, stützte mich und führte mich aus dem Labyrinth. Ich kannte den Weg nicht, aber selbst wenn, jetzt hätte ich mich so oder so heillos verlaufen.
    Ich sah nur Hecken, Hecken, Hecken, noch nicht einmal die Durchgänge hätte ich gefunden. Mehr als einmal wirkte es für mich, als ob mich Alan direkt durch eine grüne Wand ohne Tür oder Tor zog, aber ich folgte brav. Ohnehin musste ich mich zu sehr darauf konzentrieren, aufrecht zu gehen, denn jede noch so kleine Schwankung nach rechts oder links drehte mich einmal von innen nach außen, und ich musste sehr an mich halten, um mich nicht doch noch vor Alans Augen zu übergeben. Am Ende war ich heile aus dem Irrgarten hinaus, und weil ich auf nichts anderes geachtet hatte als auf mich und meine Beine, konnte ich noch immer nicht sagen, wo denn nun der Eingang war. Eine feine Detektivin war ich!
    »So, die Hälfte ist geschafft«, sagte Alan, dabei sah das Haus noch unerreichbar weit entfernt aus. »Kannst du alleine laufen?« Ich schüttelte den Kopf – vielleicht hätte ich es geschafft, sehr wahrscheinlich sogar, aber ich mochte seinen Arm nicht loslassen. Doch Alan blieb hart. »Weil, wenn wir jetzt ins Haus zurückkommen, und ich muss dich stützen, und irgendwer sieht uns, das wäre gar nicht gut. Dann bekomme ich Ärger, und du erst recht.«
    Ich biss mir auf die Lippen. Plötzlich kam mir Alan sehr feige vor, dass er sich um so etwas sorgte, wenn er doch stattdessen mich im Arm halten konnte. Aber wenn er es so haben wollte, bitte. Ich konnte durchaus auf mich selbst aufpassen, ich brauchte keinen Alan dafür. »Von mir aus«, sagte ich spitz, riss mich los und führte ihm vor, wie gut ich auch ohne Hilfe laufen konnte. Wozu hatte ich jahrelang Balancieren geübt? Mir war auch gar nicht mehr so sehr übel. Es ging mir fast wieder gut, solange ich meinen Kopf ruhig hielt.
    »Sehr gut«, sagte Alan. »Wir nehmen den Dienstboteneingang, aber ich werde mich vorschleichen und sehen, ob die Luft rein ist. Wenn nicht, gehe ich allein rein, und du wartest ein paar Minuten, ehe du nachkommst, dann sieht man uns nicht zusammen.«
    Jetzt wurde ich wütend. Wollte er etwa nicht mit mir gesehen werden? Da hörte ja alles auf! Aber rechtzeitig, ehe ich Alan dafür zur Minna machen konnte, fiel mir ein, dass Liebesaffären unter dem Personal streng verboten waren. Zwar waren wir noch kein Liebespaar, aber jeder würde das vermuten. Und wenn ich so darüber nachdachte, hätte ich eigentlich nichts dagegen einzuwenden gehabt. Ich, ausgerechnet! Die ich von allen Mädchen aus St. Margaret’s am wenigsten von starken Männern und dunklen Fremden geträumt hatte – kaum hatte ich beides zur Auswahl, Alan und Rufus, glaubte ich, mir einen davon aussuchen zu müssen, und warf mich dem Hausburschen an den Hals, einem Kerl, der vielleicht nicht einmal lesen und schreiben konnte und in seinem ganzen Leben noch nie in einem Zirkus gewesen war. Aber da tat ich Alan unrecht. Die Wahrheit war doch, ich mochte ihn wirklich. Sehr sogar. Und es war mir egal, ob mich alle anderen Mädchen von St. Margaret’s dafür auslachen würden, namentlich diejenigen, die lieber Rufus gehabt hätten.
    Ich versteckte mich hinter einem Busch – das wäre vielleicht nicht nötig gewesen, aber es machte mir Spaß – und wartete, während Alan zur Tür schlenderte. Von meiner Warte aus versuchte ich, auch auf das Haus zu schielen und zu erkennen, ob ich da oben, durch die Fenster des Morgenzimmers, eine Regung von Violet wahrnehmen konnte. Nicht weil ich wissen wollte, ob sie mich beobachtete – sondern weil ich wissen wollte, ob ich sie beobachten konnte. Aber ich sah nichts und niemanden.
    Ein Pfiff schreckte mich auf. Alan stand an der Tür und winkte mir zu. Ich machte den Fehler zu laufen, statt würdevoll zu schreiten, und mein Magen rächte sich sofort dafür mit lautem Rumoren. Das Haus kam direkt auf mich zu und überrollte mich, als wäre ich unter ein Automobil geraten, oder noch besser eine Bierkutsche. Trotzdem, ich kam in einem Stück bei Alan an. Er hielt mir die Tür auf und ließ mich in den Flur huschen. Nach der frischen Luft des

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