Das Puppenzimmer - Roman
auf der Straße gelandet, als ich bis drei zählen konnte – Alan hingegen hatte seine Entscheidung getroffen, und ich wusste, ich konnte ihm vertrauen.
»Du glaubst mir nicht, oder?«, sagte ich am Ende vorsichtig. Ich zumindest hätte das nicht getan, wenn mir jemand so eine Geschichte erzählt hätte – vor allem nicht, wenn derjenige gerade den guten Teil einer Flasche Wein getrunken hatte.
Aber Alan lachte nicht, und er sah auch immer noch aus, als ob er mich ernst nahm. »Ich glaube dir«, sagte er ruhig. »Jedes Wort. Ich bin vielleicht nur der Hausbursche, aber ich habe Augen im Kopf und Ohren, und ich weiß schon lange, dass das eine oder andere nicht stimmt in Hollyhock. Und dass es dieses Zimmer gibt, das niemand betreten darf – davon wissen wir alle. Du kannst mir glauben, es wird schon lange drüber gerätselt beim Personal, natürlich nur, wenn Mrs. Arden oder Mr. Trent nicht in der Nähe sind. Puppen … Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet, aber das passt zu dem, was man sich von Miss Lavender erzählt hat.«
Jetzt wurde ich ganz aufgeregt. »Miss Lavender – hast du die gekannt?«
Alan schüttelte den Kopf. »Nicht persönlich, aber ich komme hier aus der Gegend, und mit so einem Herrenhaus – da ist natürlich immer drüber gemunkelt worden. Wie sie dann gestorben ist und die Molyneux-Geschwister Hollyhock geerbt haben, hat sich das natürlich rumgesprochen, und als sie dann Personal gesucht haben – du kannst es dir denken –, da sind die Neugierigen als Erstes hin, um sich vorzustellen. Aber das Zimmer war da schon abgeschlossen. Die Molyneux’ müssen gewusst haben, was es damit auf sich hat, und dass sie besser keinen reinlassen.« Nun war er es, der näher an mich heranrückte. »Florence – du musst mir etwas versprechen, tust du das?«
»Ja …«, flüsterte ich, plötzlich unsicher. Nicht, weil er mir so nah war, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. Darüber hätte ich mich zu jeder Gelegenheit gefreut. Aber jetzt war mir irgendwie flau im Magen. Ich spähte in meine Flasche und sah durch den grünen Boden mein Kleid, aber nur noch eine klitzekleine Pfütze Wein. Vielleicht hätte ich auf den letzten Schluck doch besser verzichtet. Oder auf den davor.
»Hüte dich vor Rufus und Violet«, flüsterte Alan. »Sie sind nicht das, was sie vorgeben. Sie werden versuchen, dich zu einer von ihnen zu machen. Das darfst du nicht zulassen. Versprichst du mir das?«
Ich blickte ihn an. Seine Augen waren groß und dunkel, und anders als bei den Molyneux’ konnte ich stundenlang in ihre Tiefe schauen, mich in ihnen verlaufen und gleichzeitig immer zu Hause sein. Ich wollte ihm versichern, dass ich auf mich achtgeben würde. Dass ich Rufus und Violet nicht über den Weg traute. Und am allermeisten wollte ich ihm sagen, wie sehr ich ihn mochte. Stattdessen sagte ich: »Alan … mir ist schlecht.«
Der Weg zurück zum Haus war keine Freude. Mir war ja schon irgendwie übel, als ich noch am Boden saß, aber als ich dann aufstand – Alan musste zurück an die Arbeit, und ich wollte mich am liebsten einfach ins Bett legen –, traf mich der Schwindel wie ein Wirbelsturm bei Glatteis und hätte mich zu Boden gerissen, hätte Alan mich nicht rechtzeitig am Arm festgehalten. Jetzt war mir wirklich schlecht. Ich stand da und zitterte, während Alan hastig die Reste wegräumte, das Tischtuch zusammenfaltete und alles wieder in den Korb packte.
»Mir ist schlecht«, sagte ich noch einmal, als ob es davon schneller ginge oder Alan das nicht längst wusste.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Alan. »Das geht vorüber, und du bist an der frischen Luft, die tut dir gut. Stütz dich an der Hecke ab, bis ich hier fertig bin.«
»Mir ist schlecht.«
»Hm«, machte Alan. »Sicher, dass du die andere Flasche nicht doch noch haben willst? Wenn dir schon mal übel ist, kannst du auch gleich damit weitermachen.« Ich stierte ihn an, als könne ich es nicht erwarten, mich quer über seine Schuhe zu übergeben. Alan lachte. »Kleines, ich mach doch nur Witze! Du trinkst gleich einen großen Schluck Wasser, packst dich in dein Bett, und morgen ist alles vergessen.«
Ich glaubte ihm nicht. Alles drehte sich um mich, aber nicht im Kreis – das ging einmal von links nach rechts, und wenn ich mich gerade daran gewöhnt hatte, ging es plötzlich von rechts nach links, wie Wäsche, die im Zuber hin- und hergewälzt wurde. Und so fühlte ich mich, als ob man mich in einen Waschbottich gesteckt
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