Das Puppenzimmer - Roman
ankündigte, dass ich künftig mit ihnen essen würde, hatte ich noch gebangt und gehofft zugleich, dass dieses Thema überhaupt nicht mehr angesprochen werden würde.
»Wir haben festgestellt, dass diese Personen kein Umgang für dich sind«, sagte Rufus. »Bald kommt unsere Nichte an, und du sollst dich als ihre Gesellschafterin nicht mit dem Küchenpack verbünden.« Er blickte kalt durch mich hindurch. »Du glaubst, dass du straffrei davonkommst nach dem, was gestern geschehen ist?«
Ich schluckte. War das seine Art, mich erst frühstücken zu lassen und in Sicherheit zu wiegen, bevor er mich seinen finsteren Zorn spüren ließ? Vor meinem inneren Auge erschienen dunkle, modrige Verliese, in denen ich angekettet wurde, aber ich ahnte, dass die Wirklichkeit noch viel, viel schlimmer sein konnte. Alans Warnung schoss mir wieder in den Kopf, und ich hatte Angst, was mit ihm geschehen sein mochte.
»Du fragst dich, was aus dem Jungen geworden ist?«, fragte Rufus, als könne er meine Gedanken lesen, und ich betete, dass mir das nur so vorkam. »Wir hatten keine Wahl, als ihn zu entlassen. Wir bemühen uns, als Hausherren unserer Verantwortung nachzukommen und unser Personal gerecht zu behandeln; nichts ist verwerflicher als die Willkür eines Herrschenden gegenüber seinen Untergebenen, aber dieser Junge hat uns bestohlen. Er hat zugegeben, dass er dir ein Festmahl bereitet hat aus Dingen, die er zuvor entwendet hatte. Und dass wir ihn nur aus dem Haus gejagt haben und nicht auch noch nach der Polizei gerufen, liegt nur daran, dass wir ihm und uns den Skandal ersparen wollten – bald wird ein zartes, unschuldiges Geschöpf in diese Mauern einziehen, und dann soll kein dunkler Schatten über Hollyhock liegen. Hast du verstanden?«
Ich leckte mir über die plötzlich trockenen Lippen und nickte. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich wusste nicht, dass das Essen gestohlen war. Wir hatten nur einen netten Nachmittag –«
»Ich will keine Entschuldigungen hören«, unterbrach mich Rufus. »Meine Schwester und ich sind sehr enttäuscht von dir. Aber was sollten wir auch erwarten von einem Findelkind ohne Manieren –«
Er brach ab, als ihn ein scharfer Blick von Violet traf. »Ich denke, das genügt«, sagte sie sanft. »Florence kann nichts für ihre Herkunft. Wenn wir sie hätten darüber entscheiden lassen, hätte sie auch lieber unser Leben gewählt als das, mit dem sie gestraft wurde. Es entschuldigt nicht für das, was sie getan hat, aber sie wird es nie wieder tun, dessen bin ich mir sicher. Und wir dürfen nicht vergessen, wie jung sie noch ist. Sie hat in gutem Glauben gehandelt, sie ist nicht die Diebin, die es zu bestrafen gilt – und ich denke, sie hat ihre Lektion gelernt.«
Ich nickte dankbar. Wenn man mir gesagt hätte, dass es einen Moment geben würde, in dem ich mich über Violets aufgesetzte Zuckrigkeit freuen würde, ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber dass sie Rufus in diesem Moment über den Mund gefahren war – allein dafür liebte ich sie. »Es wird nie wieder vorkommen«, flüsterte ich. Wie auch, ohne Alan? Es gab niemanden mehr in diesem Haus, mit dem ich mir so einen schönen Nachmittag vorstellen konnte – außer Lucy, vielleicht, aber Lucy war kein Junge … Jetzt war ich ohne Freund – war es am Ende das, worum es ging? War es völlig egal, dass Alan Wein und Pasteten gestohlen hatte, dass ich ihm mein Herz ausgeschüttet hatte, war nur, weil ich ihn mochte, aber stattdessen frei sein sollte für diese ominöse Nichte, die mir immer verdächtiger wurde, je öfter Rufus oder Violet sie erwähnten? »Und was Alan angeht«, sagte ich vorsichtig, aber ich kam nicht weit.
»Du wirst nicht mehr von ihm sprechen«, sagte Rufus. »Freu dich, dass wir nicht auch dich aus dem Haus gejagt haben. Du wirst diesen Jungen vergessen. Sofort.«
Ich schloss instinktiv die Augen, als ob er mir sonst jede Erinnerung an Alan aus dem Kopf hätte wischen können. Aber nichts dergleichen geschah, und ich atmete erleichtert auf. Hatte ich mich schon so sehr an die Zaubereien und das Übernatürliche gewöhnt, dass ich es für selbstverständlicher nahm als die Normalität?
»Und jetzt«, sagte Rufus, »geh an die Arbeit. Wir wollen nichts mehr davon hören.«
Die folgende Zeit fühlte sich kalt und einsam an. Ich vermisste Alan noch mehr, als ich gedacht hätte, und ich konnte noch nicht einmal mehr Trost bei Lucy finden, die ich doch als so etwas wie meine Freundin ansah. Es war mir
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