Das Rachespiel: Psychothriller (German Edition)
absolut wichtig war, Frank Geissler am Leben zu lassen. Noch.
27
– 01 : 37 Uhr
Frank hätte nicht sagen können, wie lange er auf dem Boden gesessen und in die Schwärze vor sich gestarrt hatte, die hier und da von Bildern unterbrochen worden war. Von Bildern, die sein Gehirn produzierte. Die Fahrt im letzten Jahr in die Toskana. Laura hatte ihr Smartphone an die Autoanlage angeschlossen, und sie alle hatten lauthals mitgesungen. Zumindest die wenigen Lieder, die auch Frank und Beate kannten. Er hatte Laura im Rückspiegel beobachtet, und in diesem Moment war ihm zum ersten Mal klargeworden, das seine Tochter bald erwachsen sein würde. Er hatte ihr strahlendes Lachen gesehen, und der Gedanke, dass vielleicht schon bald irgendein pickelgesichtiger junger Bursche ihr zum ersten Mal das Herz brechen würde, hatte ihm einen Stich versetzt. Wie sehr er sein Mädchen liebte.
Dann hatte das Bild gewechselt, war wie in einem Film ausgeblendet und schließlich durch das ebenmäßige Gesicht seiner Frau ersetzt worden. Beate, die ihm liebevoll zulächelte, mit der er sich ein Leben aufgebaut hatte, auf die er sich immer und in jeder Situation hatte verlassen können. Die ersten beiden Jahre seiner Selbständigkeit waren nicht einfach gewesen, aber selbst als die Bank ihm weiteres Geld verweigert hatte und es für zwei, drei Monate sehr eng geworden war, hatte Beate kein einziges Mal an ihm und seiner jungen Firma gezweifelt. Im Gegenteil, sie hatte ihn ermutigt, nicht aufzugeben, als er schon bereit war, sein Scheitern zu akzeptieren. Und es hatte sich gelohnt, kurze Zeit später war der erste große Auftrag gekommen.
Seine Beate. Auf sie war immer Verlass. Und nun verließ sie sich darauf, dass er nichts tun würde, was ihr schadete. Dass er im Gegenteil alles dafür tun würde, dass es ihr gutging. Und er war drauf und dran, dafür zu sorgen, dass sie in wenigen Stunden vielleicht sterben würde. Ebenso wie Laura.
Eine Bewegung neben ihm riss ihn von diesen Bildern fort, aus seinen Gedanken.
Jens stöhnte auf.
»Jens.« Frank war sofort bei ihm. »Jens, kannst du mich hören?« Er wollte mit Jens reden, wollte seine Stimme hören. Irgendeine menschliche Stimme, die ihm das Gefühl gab, nicht gänzlich allein in dieser dunklen Kälte zu sein.
Schon wieder denkst du nur an dich selbst
, ermahnte ihn eine Stimme in seinem Inneren.
Du hast allen Grund, dich zu schämen.
Wahrscheinlich stimmte das, aber er hatte auch allen Grund, an sich zu denken. Er musste bei Verstand bleiben, um jede Chance zu nutzen, das Leben seiner Familie zu retten. Und sein eigens.
»Frank?« Jens war fast nicht zu verstehen, aber Frank war sich sicher, dass er eben seinen Namen gesagt hatte.
»Ja, ich bin hier, Jens. Ich bin da.«
Jens versuchte vergeblich sich etwas aufzurichten. Frank beugte sich über ihn. »Jens, wie geht es dir? Hast du Schmerzen? Wer hat dir das angetan? Weißt du, wo Manu ist? Sie hat hier neben dir gesessen und auf mich gewartet.« Er sprach so schnell, dass er einzelne Silben verschluckte. Er hatte Angst, dass Jens wieder die Besinnung verlor, bevor er ihm seine Fragen beantwortet hatte.
»Weiß nicht«, presste Jens hervor. »Schmerzen.«
Frank wurde sich bewusst, dass er die ganze Zeit neben dem schwerverletzten Jens gesessen hatte, ohne ihn zu verbinden. Die Verbandsrollen hatte er noch immer bei sich.
»Du hast eine Wunde auf dem Rücken. Ich verbinde dich jetzt.«
Aber wie sollte er das anstellen? Er musste den Verband unter Jens’ Körper durchschieben, und das mehrfach. Das konnte er alleine unmöglich schaffen. Jens würde ihm helfen müssen.
»Jens, kannst du mich hören? Jens?«
»J… Ja.«
»Kannst du mir helfen? Kannst du versuchen, dich aufzurichten?«
»Ich … versuch’s.«
Frank konnte nicht erkennen, was genau Jens tat, aber er stöhnte wieder laut auf, lauter noch dieses Mal, dann wuchs ein dunkler Umriss in die Höhe. Jens stieß einen erneuten Schmerzenslaut aus, atmete schwer.
Frank tastete nach Jens’ Arm, schob ihm seine Hand unter die Achsel und stützte ihn. Schließlich hatten sie es geschafft, Jens saß schräg auf dem Boden und stieß in kurzen, geräuschvollen Schüben die Luft aus.
»Was … was ist passiert? Diese … Schmerzen … unerträglich.«
Jens war kaum zu verstehen, die Worte kamen unartikuliert aus seinem Mund.
»Du bist niedergestochen worden«, erklärte Frank. »Mit einem Schraubenzieher. Wir haben ihn herausgezogen und versucht, die Blutung zu
Weitere Kostenlose Bücher