Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
stärker geworden war, beschleunigte seine Schritte. An der nächsten Ecke bog er scharf links ab.
Im nächsten Augenblick stieß er mit jemandem zusammen – und spürte einen stechenden Schmerz in der Bauchgegend.
Wie erwartet hörte er Orffyreus ganz nah vor sich rufen.
Hinter der nächsten Gabelung musste er auf ihn treffen. Er umklammerte den Griff des Messers so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. Schon konnte er ihn hören. Noch drei Schritte, zwei …
Gerade als er die Ecke erreichte, sah er auf dem Boden vor sich einen Schatten. Im nächsten Moment lief jemand in ihn hinein. Er hielt dem Aufprall stand und rammte blitzschnell sein Messer in den anderen hinein. Sein Gegenüber taumelte zurück und stürzte zu Boden.
»Weiß er, wer ich bin?«, zischte er und beugte sich über den Niedergestochenen, der ihn entgeistert anstarrte.
Orffyreus stöhnte vor Schmerz.
»Verzeiht, ich habe Euch nicht kommen sehen«, entschuldigte die Magd sich und umarmte ihn erleichtert.
Orffyreus hielt sich die Stelle, wo ihn die Magd mit ihrem Ellbogen beim Zusammenprall getroffen hatte. Das Gesicht von Anne Rosine war nass von Tränen und stark erhitzt. Er stieß sie an ihrem Busen von sich weg und verpasste ihr zwei Ohrenfeigen. Die Magd torkelte zur Seite, fand Halt an der Hecke und drohte dann zur anderen Seite zu fallen. Orffyreus fing sie auf und griff nach ihrer Hand.
»Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt!«, herrschte er sie an. Dann zerrte er sie zur nächsten Weggabelung. »Ich habe mich noch niemals in meinem Leben verirrt – und jetzt das!« Er stieß einen Fluch aus und ließ die Magd schließlich los.
Da sie immer noch leicht benommen war, folgte sie ihm mit wankenden Schritten und schluchzte leise.
Vor ihm lag der Junge vom Eingang.
Der Bursche war auf den Rücken gefallen und hielt sich den angewinkelten Oberschenkel. Durch die Finger quoll Blut. Mit den verängstigten Augen eines Schwerverletzten schaute der Knabe ihn ungläubig an.
Langsam ließ er das Messer sinken und ging rückwärts. »Ich dachte … du … Woher … wieso …?«, stammelte er. Dann drehte er sich unvermittelt um und rannte den Gang hinunter.
Endlich hatten sie den Ausgang gefunden. Der Junge am Eingang war nirgends zu sehen, was Orffyreus ganz recht war, da er hoffte, dass niemand das Theater im Irrgarten mitbekommen hatte. Anne Rosine weinte immer noch leise vor sich hin und folgte ihm stolpernd.
Orffyreus reichte ihr sein Taschentuch. »Säubere dein Gesicht. Die Menschen denken sonst, ich hätte dir etwas angetan.«
Die Magd gehorchte eingeschüchtert. »Wohin gehen wir jetzt?«, fragte sie schließlich.
»In eine der Grotten«, antwortete Orffyreus. »Das wolltest du doch!«
An jeder Ecke, die er erreichte, sah er vor seinen Augen das erschrockene, bleiche Gesicht des Knaben.
Gott sei Dank hatte er beim Zusammenprall das Messer verrissen und den Jungen nicht in den Bauch getroffen. Mit etwas Glück würde der Knabe es überstehen.
Im Labyrinth war es nun ganz still. Er wandte sich nach rechts und landete in einer Sackgasse. Ein Kind töten – das hatte er nicht gewollt. Er lief zurück, wandte sich nach links und stand wieder vor einer Wand aus Buchen. Wo war nur der Ausgang. Er kehrte um und gelangte an eine weitere Kreuzung. Nach einigen Schritten bog er rechts ab und blickte in einen anderen Gang. Er musste hier endlich raus.
Nachdem er die nächste Gabelung erreicht hatte, legte er erschöpft eine kleine Pause ein. Welchen Weg sollte er nur einschlagen? Er entschied sich für den rechten Gang und stieß auf eine Biegung, die ihm bekannt vorkam. Dann wandte er sich nach rechts – und stolperte beinahe über den Knaben, der halb benommen vor ihm lag.
»Helft mir!«, flüsterte der Junge und streckte ihm flehentlich seinen Arm entgegen.
Er atmete schwer, und er spürte, dass seine Perücke auf seinem schweißnassen Schädel verrutscht war. Verzweifelt blickte er in den Gang zur Linken, doch auch dieser Weg schien in einer Sackgasse zu enden. Er wandte sich um. In diese Richtung war er vorhin geflohen; es wäre wohl sinnlos, es noch einmal zu versuchen.
»Bitte, mein Herr!«, flehte der Knabe mit schwacher Stimme.
Er schaute auf das verletzte Kind. Dann zog er sein Messer, beugte sich über den Jungen und zerteilte dessen Hemd. Mit den Fetzen band er den Oberschenkel des Knaben oberhalb der Wunde ab und hievte ihn mit aller Kraft auf seine Schulter.
»Zeig mir den rechten Weg!«, verlangte er.
Keine
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