Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
anders verstehen, als dass ihr mir nicht euer Vertrauen entgegenbringt?«, fragte Antonow ärgerlich.
»Beruhigt euch, Dawid, Boris. Streit führt zu nichts, außer zu weiterem Streit. Und das ist unproduktiv.« Iwan Malenko legte seine fleischigen Hände beschwichtigend auf die seiner beiden Gesprächspartner. »Boris, wir haben dich in das Unternehmen geholt und dir mittlerweile zwanzig Prozent der Anteile überschrieben. Und wenn du deinen Weg weitergehst wie bisher, wird dir vermutlich einmal die Mehrheit der Aktien gehören. Wir haben dir nur versucht zu sagen, dass wir uns Sorgen machen. Vielleicht ist es das Alter: Wenn man im Herbst des Lebens steht, sorgt man sich mehr als in der Jugend.«
Antonow atmete tief durch. Die drei Männer saßen in einer Suite des Ritz-Carlton Hotels am Roten Platz in Moskau. Vor ihnen standen drei Wodkagläser, von denen zwei leer waren. Antonow hatte seines noch nicht angerührt.
»Wir hatten das beste Jahr der Firmengeschichte«, erwiderte Antonow. »Während ihr in Kitzbühel oder London euren Lebensabend genießt, reiße ich mir hier täglich den …« Er sprach den Satz nicht zu Ende und atmete erneut tief durch. »Ihr habt keinen Grund, euch Sorgen zu machen!«
»Boris, die EU plant weiter an ihren Richtlinien, mit denen sie uns das Leben schwer machen will«, warf Kiroushenkov ein, dessen Stimme stets heiser war. »Kommt es zur Trennung von Versorgungs-und Transportunternehmen, werden wir als Erstes in Litauen einen schweren Stand haben …«
»Wir verhandeln bereits seit langer Zeit mit der litauischen Regierung!«, protestierte Antonow.
»Und die neuen alternativen Energien«, gab Kiroushenkov zu bedenken. »Sie werden überall gefördert und gepuscht. Da nützt es auch nichts, wenn ein paar Quadratkilometer Torf vor Moskau abbrennen.«
»Unsere Gasvorräte gehen spätestens in siebzig Jahren zur Neige«, ergänzte Iwan Malenko. »Nicht, dass wir noch so lange leben würden. Wer aber baut eine Mühle an einem Fluss, der bald versiegt? Unsere Aktien werden an Wert verlieren, je näher wir dem Ende der Gasvorräte kommen! Wir machen uns nur Sorgen!«
»Wir sind dabei, einige interessante Akquisitionen im Bereich der alternativen Energien zu machen«, hob Antonow hervor. »Ich habe euch darüber einen Bericht zukommen lassen. Einer der größten Hersteller von Pellet-Heizungen in Europa steht auf unserer Einkaufsliste. Und wir haben in Thanet, den größten Offshore-Windpark Europas, investiert. Wir werden auch das Ende der Gasvorräte überleben!« Er griff nach seinem Wodkaglas und trank es in einem Zug aus.
»Wir honorieren deine Bemühungen, Boris – wirklich«, beteuerte Kiroushenkov. »Aber Sorgen sind wie Treibsand. Wenn man erst einmal von ihnen gefangen worden ist, versinkt man immer tiefer darin. Daher bitten wir dich nur, unsere Befürchtungen ernst zu nehmen.«
»Das tue ich doch«, entgegnete Antonow gereizt.
»Wir treffen uns hier jedes Jahr; und wir haben dir immer unsere Unterstützung zukommen lassen«, führte Malenko aus. »Und wir werden dies weitere drei Monate tun. Wenn unsere Sorgen dann aber nicht kleiner geworden sind, werden wir dir jemanden zur Seite stellen. Vielleicht tut es dem Unternehmen gut, wenn jemand mit neuen Ideen kommt. Vier Augen sehen mehr als zwei, und vier Ohren hören besser als deine beiden. Er soll dich nicht ersetzen, er soll dich ergänzen.«
»Drei Monate?«, fragte Antonow mit missmutiger Miene.
»Drei Monate«, wiederholte Malenko.
»Nun gut, euch gehört die Mehrheit. Ich werde versuchen, euch in diesen drei Monaten zu überraschen und eure Bedenken zu zerstreuen.«
»Das klingt doch hervorragend!«, rief Kiroushenkov und schaute sich suchend im Raum um. »Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre, wenn du dafür sorgst, dass dieses Mädel mit dem knappen Rock und der Wodkaflasche noch einmal wiederkommt und nachschenkt, denn unsere Gläser sind definitiv leer. Und nichts macht mir größere Sorgen, als ein leeres Glas!«
Während Malenko in ein besorgniserregendes bronchiales Lachen verfiel, griff Antonow zu dem tragbaren Telefon, das auf dem Marmortisch vor ihnen lag, um den Zimmerservice herbeizurufen.
88
Cassel, 1717
Wilhelm Schwander zog seinen Säbel aus der Scheide und setzte dessen Spitze dem Verurteilten auf die Brust. Dieser hatte seinen Oberkörper bis zum Gürtel entblößt und starrte an ihm vorbei. Er war ein Deserteur, der nach dreitägiger Suche von den Hunden im Unterholz vor
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