Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Jonson saßen am Couchtisch und spielten Karten. Da der Schwede das russische Kartenspiel Durak nicht kannte, hatte man sich nach einigem Hin und Her auf Skat geeinigt. Jonson führte haushoch, und Sergeij begann, die Lust am Spiel zu verlieren. Plötzlich piepte eines der Geräte, die in dem Hotelzimmer aufgebaut waren. Jonson legte sein Blatt zur Seite und sprang auf.
»Was ist los?«, wollte Dimitrij wissen.
»Augenblick, Augenblick!«, rief Jonson aufgeregt und hackte etwas in die Tastatur seines Laptops. Sekunden später rief er: »Der Kerl benutzt seinen USB-Surfstick!«
»So blöd kann er doch wirklich nicht sein«, entgegnete Sergeij, stand auf und ging zu Jonson. »Er sollte mitbekommen haben, dass wir ihn darüber orten können!«
»Jedenfalls wurde der Stick soeben aktiviert«, sagte Jonson.
»Und wo?«, fragte Sergeij.
»Nicht weit von hier. Unsere Geräte in London orten ihn gerade. Gleich können wir es auf meinem Laptop sehen.«
Auf dem Bildschirm erschien eine Ladeanzeige, in dem sich ein grüner Balken aufbaute. Nach einigen Augenblicken erschien ein Stadtplan.
»Er ist in Kassel, und zwar genau hier!«, erklärte Jonson und zeigte auf einen roten Punkt auf der Karte.
»Wie genau ist die Ortung?«, wollte Sergeij wissen.
»Normalerweise sehr grob, da wir nur angezeigt bekommen, bei welcher Funkzelle er sich angemeldet hat«, erwiderte Jonson. »Hier aber – in der Innenstadt – haben wir eine große Dichte von UMTS-Masten, daher schätze ich die Genauigkeit auf fünfzig Meter.«
»Druck mir das aus!«, wies Sergeij ihn an. »Und dann geh und weck Adams. Versucht herauszubekommen, ob dort ein Hotel oder Ähnliches ist. Dimitrij und ich machen uns auf den Weg und sind über Handy erreichbar.«
Sergeij wartete, bis der Ausdruck fertig war, faltete ihn zusammen und steckte ihn in seine Hosentasche. Dann griff er nach seiner Lederjacke und verließ das Hotelzimmer. Dimitrij folgte ihm.
Kaum hatten sie die Lobby des Hotels durchschritten, griff Sergeij zu seinem Handy und wählte eine Nummer aus seinem Telefonbuch.
112
Cassel, 1719
Die Magd hastete durch die Gassen der Altstadt. Die Breite-Obere-Straße hatte sie hinter sich gelassen und war über den Ledermarkt in Richtung der Wildemangasse abgebogen. Hier verengten sich die Straßen. Sie trug einen dunkelgrünen Umhang, den sie so über ihren Kopf geworfen hatte, dass ihr Gesicht zum großen Teil verborgen blieb. Für ihr Vorhaben war es wichtig, dass sie nicht erkannt wurde. Die Sonne war gerade untergegangen, und die Dunkelheit brach herein. Die schmalen Gassen wurden leerer.
Anne Rosine wandte sich schließlich nach rechts und bog durch einen unscheinbaren Torbogen, der ihr beschrieben worden war, in einen der Durchgangswege. Diese Art von Gasse hatte keinen Namen, und diejenigen, die hier ihren Geschäften nachgingen, waren froh darüber. Die Magd hielt Ausschau nach einer roten Laterne.
Aus einer Tür zu ihrer Rechten trat plötzlich ein Betrunkener, der die Hände ausstreckte, um ihren Umhang zu ergreifen. »Süße, komm und ich zeige dir was Schönes!«, lallte er.
Die Magd wich mit einem flinken Schritt zur Seite aus und ließ den Mann ins Leere greifen.
Einige Häusereingänge weiter sah sie endlich die Laterne vor sich. Sie blieb stehen und pochte gegen die in einem leuchtenden Rot gestrichene Tür. Einen Augenblick geschah nichts, dann wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Zuerst sah die Magd Haare, dann schob sich ein rosiges Frauengesicht in den Türspalt und sah sie fragend an.
»Belladonna«, sagte die Magd.
Das Gesicht begann zu lächeln, und die Tür schwenkte auf. Vor der Magd stand nicht die alte, runzelige Frau mit den langen grauen Haaren und dem Antlitz einer Kräuterhexe, die sie erwartet hatte. Stattdessen blickte sie in das freundliche Gesicht einer gut gekleideten Dame. Sie trug ein Kleid, mit dem sie ohne Weiteres am Hof hätte auftreten können und das ihre üppige Oberweite mehr entblößte als verdeckte. Mit den wachen Augen, der wohlgeformten Nase und den weißen Zähnen konnte man sie sogar als schön bezeichnen.
»Madame Monsquiere?«, fragte die Magd.
Die Frau nickte und trat einen Schritt beiseite. »Ihr seid richtig hier. Tretet ein in meinen bescheidenen Kosmetiksalon.«
Die Magd huschte in den dunklen Flur, und hinter ihr schloss sich die Tür. Sie wurde in einen sehr geschmackvoll eingerichteten Raum geführt. Obwohl er klein und fensterlos war, strahlte er eine eigene Vornehmheit
Weitere Kostenlose Bücher