Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Sonne frei, und ein Bataillon von Laserdruckern spuckte erste Ergebnisse der weltweit initiierten Recherche zu Robert Weber aus. In den Stunden zuvor hatte die Webcrawler-Software unermüdlich das World Wide Web nach der gesuchten Kombination von Vor-und Nachnamen durchforstet. Profile von Social Networks, öffentlich zugängliche und geheime Datenbanken von Verkehrsbetrieben, Konzernen, Zahlungsdienstleistern, Behörden und Regierungsorganisationen sowie Archive jeglicher Medien waren gescannt und ausgewertet worden. Schon bald lag ein erstes Dossier vor, auf dessen Titel eine vergrößerte Fotografie prangte, die Robert Weber beim Verlassen der Staatsbibliothek in Hamburg zeigte. Er hatte einen gelösten Gesichtsausdruck, fast lächelte er – nicht ahnend, was für eine gewaltige Maschinerie er ausgelöst hatte.
16
Draschwitz 1714
Leibniz sandte einen Brief, kaum zwei Wochen nach der Vorführung im Schloss Zeitz.
Darin entschuldigte er sich noch einmal für die Unannehmlichkeiten, die er Orffyreus bereitet hatte, und bedankte sich für dessen Geduld mit ihm. Gleichzeitig berichtete er vom Interesse des Herzogs Wilhelm von Sachsen-Merseburg an dem Perpetuum mobile. Jedenfalls, so schrieb Leibniz, habe dieser Herrscher, der von seinem Volk auch »Geigenherzog« genannt wurde, für die Kunst und die Wissenschaft ein weitaus offeneres Ohr als der Herzog aus dem benachbarten Sachsen-Zeitz. Er habe mit dem Geigenherzog kurz Kontakt aufgenommen, und dieser habe sich gern bereit erklärt, Orffyreus in Merseburg die Vorführung seiner Apparatur zu ermöglichen.
Auch Orffyreus hatte von dem Geigenherzog schon gehört. Den Beinamen führte er wegen seiner Begeisterung für die Viola da Gamba , an der er auch öffentlich dilettierte. Orffyreus mochte den Klang dieser aufrecht in den Schoß gestellten Violine nicht besonders. Aber Leibniz hatte recht: Gab ein Herrscher sich derart öffentlich einer Leidenschaft wie dem Geigenspiel hin, so war es durchaus möglich, dass er auch den anderen Künsten, zu denen Orffyreus die Wissenschaft zählte, gegenüber aufgeschlossen war. Als vermögender Mann konnte er vielleicht sogar selbst die Summe von hunderttausend Talern für den Ankauf des Perpetuum mobile aufbringen.
Leibniz hatte seiner Nachricht zwei Empfehlungsschreiben beigelegt. Eines war für die Herren des Grünen Hofs bestimmt; hierbei handelte es sich um ein vor den Toren Merseburgs gelegenes Adelshaus, in dem Orffyreus unterkommen sollte. Die Eigentümer, der Freiherr zu Merseburg-Pötz und seine Familie, waren mit Leibniz gut bekannt, und dieser empfahl Orffyreus als vertrauensvollen Kollegen, der in der Lage war, die zu vereinbarende Miete zu begleichen.
Das zweite Empfehlungsschreiben war in einem verschlossenen Umschlag an den Herzog selbst adressiert. Leibniz wies Orffyreus an, dieses Schreiben nach seiner Ankunft dem Herzog zu übergeben, da es eine Empfehlung zu seinen Gunsten enthielt und geeignet war, ihn bei Hofe einzuführen. Gleichzeitig mahnte er ihn, diesen Brief aber nicht zu öffnen, da er auch Persönliches enthielt. Orffyreus wog den Brief in der Hand, als wäre dessen Bedeutung in Unzen zu messen.
Ein Umzug kam Orffyreus auch deshalb gelegen, weil das Interesse an den Vorführungen in Draschwitz in der jüngsten Vergangenheit stetig abgenommen hatte. Es gab Tage, an denen sich nur ein oder zwei Durchreisende einfanden, um das Rad zu besichtigen. Orffyreus begegnete diesen Situationen, indem er vor den Fremden vorgab, die Aufführung sei kurzfristig abgesagt worden. Doch gegen ein kleines Aufgeld bot er eine »private Demonstration« des Rades an.
Gerade machte Orffyreus sich auf, um seiner Ehefrau von dem erforderlichen Umzug zu berichten, als Hannes, der jüngste der Moser-Brüder, auf seinem Pferd auf den Hof preschte.
»Nicht so schnell, du Bengel, beinahe hättest du mich umgeritten!«, schimpfte Orffyreus.
Der Junge bat ehrfürchtig um Verzeihung und übergab seinem Herrn eine kleine gebundene Schrift, die kaum größer als ein Kartenspiel war.
»Dies, mein Herr, wird im Ort überall verteilt. Es entstammt der Hofdruckerei Dresden. Ich kann nicht lesen, aber mir wurde gesagt, dass es darin um Euch geht«, berichtete der Knabe aufgeregt.
Interessiert nahm Orffyreus den kleinen Band entgegen und blätterte darin. Sein Gesicht nahm eine aschfahle Farbe an, und er suchte nach Halt an der Hauswand. Als sein Bursche ihn stützen wollte, schlug Orffyreus mit dem Büchlein auf ihn ein.
»Lass
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