Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Bibelzitat stand, und legte sie aufgeschlagen vor Julia hin. Als ich die Sätze erneut las, hatte ich wieder das Gefühl, dass ich etwas Wichtiges übersah:
Matth. XV. v.16
»SeyD Ihr Dan aVCh noCh VnVerstänDIg
Wenn ich die Kunst entdeck inwendig/
So mach der – euch gebändig.«
»Die Majuskeln im Text sind merkwürdig«, wunderte sie sich.
»Majuskeln?«, fragte ich.
»Großbuchstaben«, antwortete sie.
Ich nickte. »Das U ist im Wort ›auch‹ und im Wort ›unverständig‹ als V geschrieben.«
Sie nahm ein Blatt und schrieb die groß gedruckten Buchstaben in einer Reihe auf:
DIDVCCVVDI
»Hintereinander gelesen ergibt dies keinen Sinn«, merkte sie nachdenklich an.
»Vielleicht ist es eine Abkürzung?«, schlug ich vor.
»Das glaube ich nicht«, seufzte Julia. »Dafür ist die Buchstabenfolge zu lang.«
»Orffyreus schien Rätsel zu lieben. Für seinen Namen hat er eine Codierungsmethode benutzt, die schon Julius Cäsar angewandt hatte.«
»Wie die alten Römer also«, merkte Julia gedankenverloren an.
»Wie die alten Römer«, wiederholte ich und schaute auf die Buchstaben auf dem Zettel vor mir. Plötzlich kam mir ein Gedanke. »Das ist es!«, rief ich aus.
»Was?«, fragte Julia erschrocken.
»Die Buchstaben sind keine Buchstaben. Es sind römische Zahlen!«
»Stimmt!«
»›D‹ steht für die arabische Zahl 500, das ›I‹ für die 1, das ›V‹ für die 5 und das ›C‹ für die 100«, sagte ich laut, während ich die arabischen Zahlen niederschrieb. »Liest man die Buchstaben als römische Zahlen, ergibt sich folgende Zahlenreihe: 500, 1, 500, 5, 100, 100, 5, 5, 500 und 1.«
Julia schaute unschlüssig auf das Blatt Papier vor uns. »Hilft uns auch nicht wirklich weiter. Einen symbolischen Sinn kann ich in diesen Ziffern jedenfalls nicht erkennen.«
Auch ich war ratlos.
Dann addierte ich die Zahlen. Die Summe ergab 1717. Dazu fiel mir nur eines ein. »Das Buch erschien 1718.«
Julia sagte nichts dazu. Wir rätselten noch einige Zeit weiter, dann legten wir die Bücher beiseite. Julia gähnte erneut.
»Lass uns nun unser Exemplar anschauen.« Sie nahm die selbst gedruckten Seiten zur Hand.
Layout, Schrift und Aufbau entsprachen exakt denen der anderen Bücher. Zwar fehlten die Titel-und die erste Seite, doch der Name des Werkes war auch an anderer Stelle gedruckt. Er lautete: Poetische Apologie Theil 3. Es handelte sich also offenbar um die Fortsetzung der anderen beiden Bände. Einen dritten Teil gab es jedoch offiziell nicht, wie Julia bei ihrer Recherche in Bibliothekskatalogen herausgefunden hatte. Wir schienen also tatsächlich ein bislang unbekanntes Werk von Bessler alias Orffyreus in den Händen zu halten.
Das Buch war in Versform geschrieben. Die einzelnen Zeilen waren wie bei den ersten beiden Teilen durch schräge Striche voneinander getrennt. Wir blätterten die Seiten durch, fanden jedoch auf den ersten Blick nichts Auffälliges.
»Das zu lesen dauert Stunden«, bemerkte Julia und rieb sich die Augen.
»Und dann fehlen auch noch vier Seiten«, erinnerte ich sie. »Darunter ausgerechnet das Titelblatt und die letzte Seite. Die wohl wichtigsten. Was, wenn gerade auf den Seiten ein Code versteckt ist?«
Julia gähnte und schaute mich nachdenklich an. »Selbst wenn in diesen Büchern irgendein verschlüsselter Code enthalten ist – wohin sollte er führen?«, fragte sie. »Ich meine, ein Code dient doch dazu, irgendeine Nachricht oder ein Geheimnis zu verbergen oder so etwas. Welches Geheimnis soll das hier sein?«
»Nach dem, was ich bislang gelesen habe, war Orffyreus zu Lebzeiten nur für eines berühmt: Er behauptete, ein funktionierendes Perpetuum mobile entdeckt zu haben.«
Bei diesen Worten lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, für den sich der Physiker in mir sogleich schämte.
Julia schien weniger begeistert zu sein. »Was genau ist ein Perpetuum mobile noch mal?«
»Stell dir einfach ein Rad vor, das, einmal in Bewegung gesetzt, für immer in Bewegung bleibt – das sich bis in alle Ewigkeit weiterdreht. In der Physik unterscheidet man verschiedene Arten von Perpetua mobilia. Am interessantesten ist aber das Perpetuum mobile erster Ordnung. Eine solche Maschine könnte nicht nur die zu ihrem eigenen Betrieb notwendige Energie aufbringen, sondern wäre zusätzlich in der Lage, Nutzenergie zu liefern.«
»Das heißt, eine solche Maschine könnte für unendliche Energie sorgen?«
»Wenn es funktionieren würde – ja. Aber ein Perpetuum
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