Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)
Ajah.« Siuan zuckte zusammen, dann nickte sie finster.
Fast jede Schwester wurde wütend bei der Andeutung, es könnte sich eine geheime Ajah unter den anderen verbergen, eine Ajah, die sich dem Dunklen König verschrieben hatte. Die meisten Schwestern wollten nichts davon hören. Die Weiße Burg war seit über dreitausend Jahren der Inbegriff des Lichts. Aber manche Schwestern leugneten die Schwarzen nicht rundweg. Manche glaubten daran. Die wenigsten hätten es allerdings kaum einer anderen Schwester gegenüber eingestanden. Moiraine wollte es sich selbst nicht eingestehen.
Siuan zupfte an den Gurten ihres Rucksacks, fuhr aber mit spröder Stimme fort. »Ich glaube nicht, dass sie unsere Namen haben – Tamra hat uns nie als dazugehörig betrachtet, sie hat uns befohlen, den Mund zu halten und uns vergessen –, sonst hätte auch ich schon einen ›Unfall‹ gehabt. Kurz vor meiner Abreise habe ich einen Zettel mit meinem Verdacht unter Sierins Tür durchgeschoben. Nicht wegen des Jungen; wegen der … wegen der Schwarzen. Aber ich wusste nicht, wie weit ich ihr trauen konnte. Dem Amyrlin-Sitz! Aber wenn das stimmt, dann kann jede dazugehören. Jede! Ich habe mit der linken Hand geschrieben, aber so sehr gezittert, dass niemand meine Schrift wiedererkennen konnte, selbst wenn ich mit rechts geschrieben hätte. Verbrennt meine Leber! Selbst wenn wir wüssten, wem wir vertrauen können, haben wir nicht den geringsten Beweis.«
»Mir genügt das.« Beim Licht, die Schwarze Ajah! »Wenn sie alles wissen, alle Frauen kennen, die Tamra ausgewählt hat, sind vielleicht außer uns keine mehr übrig. Wir müssen schnell handeln, wenn wir hoffen wollen, den Jungen zu finden.« Alles erschien so hoffnungslos – wer konnte schon sagen, wie viele Schwarze Schwestern es gab? Zwanzig? Fünfzig? Oder noch mehr? Was für ein schrecklicher Gedanke! –, aber Moiraine bemühte sich ebenfalls um einen lebhaften Tonfall. Es war erfreulich, dass Siuan nur nickte. Sie gab nicht auf, sosehr sie auch erzählte, wie sie gezittert hatte, und zog nie in Erwägung, dass Moiraine aufgeben könnte. Höchst erfreulich. Vor allem, wenn sie ihren Knien noch immer misstraute. »Vielleicht wissen sie von uns, vielleicht nicht. Vielleicht denken sie, sie könnten sich zwei neue Schwestern im Augenblick bis zuletzt aufheben. Auf jeden Fall können wir keinem trauen, außer uns selbst.« Das Blut wich aus ihrem Gesicht. »O beim Licht! Siuan, ich hatte gerade eine Begegnung im Gasthaus.«
Sie versuchte, sich an jedes Wort zu erinnern, jede Nuance, von dem Moment an, als Merean sie angesprochen hatte. Siuan hörte mit einem abwesenden Blick zu, archivierte und sortierte. »Cadsuane könnte eine Schwarze Ajah sein«, stimmte sie zu, als Moiraine geendet hatte. Sie zögerte kaum, als sie die Worte aussprach. »Vielleicht versucht sie nur, dich aus dem Weg zu schaffen, bis sie dich beseitigen kann, ohne Verdacht zu erwecken. Oder sie könnte zu Tamras Auserwählten gehören. Nur weil wir glauben, dass sie seit Jahren nicht mehr in Tar Valon war, muss das noch lange nicht so sein.« Manchmal stahlen sich Schwestern in die Burg und verließen sie genauso unauffällig wieder, aber Moiraine glaubte, dass überall dort, wo Cadsuane eintraf, der Boden erbebte wie bei einem Erdbeben. »Das Problem ist, jede von ihnen könnte beides sein.« Sie beugte sich über ihren Rucksack und berührte Moiraine am Knie. »Kannst du dein Pferd aus dem Stall holen, ohne gesehen zu werden? Ich habe ein gutes Reittier, weiß aber nicht, ob es uns beide tragen kann. Wir sollten Stunden von hier entfernt sein, bis sie überhaupt merken, dass wir weg sind.«
Moiraine musste unwillkürlich lächeln. Sie hatte große Zweifel, was das gute Reittier betraf. Der Pferdeblick ihrer Freundin war nicht besser als ihr Sitz im Sattel. Der Ritt nach Norden musste eine Qual für sie gewesen sein. Und voller Angst. »Niemand weiß, dass du hier bist, Siuan«, sagte sie. »Und es ist besser, wenn das so bleibt. Hast du dein Buch? Gut. Wenn ich bis zum Morgen bleibe, werde ich einen Tag Vorsprung vor ihnen haben anstatt ein paar Stunden. Du reitest weiter nach Chachin. Nimm ein paar von meinen Münzen.« So, wie Siuans Kleid aussah, hatte sie den letzten Abschnitt der Reise unter Büschen geschlafen. Sie würde nicht gewagt haben, sich vor ihrer Abreise eine größere Summe ihres Guthabens auszahlen zu lassen. »Fang an, nach der Lady Ines zu suchen – ich stoße dort zu dir und suche
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