Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)
Einige Schwestern behaupteten, dass sich verschiedene Passagen der Prophezeiungen des Drachen auf die Aiel bezogen. Natürlich behaupteten andere das genaue Gegenteil. Zu Beginn des Krieges hatte es sehr lebhafte Diskussionen über dieses Thema gegeben. Man hätte es auch Gebrüll genannt, wären die beteiligten Frauen keine Aes Sedai gewesen. Aber bei dem, was sie jetzt wussten, hatte Moiraine das alles völlig vergessen, und Siuan offensichtlich auch. Es würde ständige Wachsamkeit erfordern, ihr Wissen verborgen zu halten.
»Ihr beiden habt doch ein Geheimnis, oder?«, sagte Myrelle. »Ich kenne keinen, der so wie ihr beiden seine Geheimnisse hat.« Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen starb sie vor Neugier.
»Das dürfen wir nicht verraten«, erwiderte Siuan, und Moiraines Brauen wanderten in die Höhe, bevor sie es verhindern konnte. Was hatte Siuan vor? Wollte sie Daes Dae’mar spielen? Moiraine hatte versucht, ihr beizubringen, wie das Spiel der Häuser funktionierte. In Cairhien wussten selbst Diener und Bauern, wie man für Vorteile manövrieren musste und andere davon abhielt, die eigenen Pläne und Geheimnisse in Erfahrung zu bringen. In Cairhien lebten Adlige und Volk gleichermaßen nach dem Daes Dae’mar , und zwar mehr als an anderen Orten, und das Spiel wurde überall gespielt, selbst in den Ländern, wo alle es abstritten. Doch trotz Moiraines Bemühungen hatte Siuan darin nie viel Geschick bewiesen. Sie war einfach zu geradeheraus. »Aber Ihr könnt mir bei Moiraine helfen«, fuhr sie überraschenderweise fort. Ihre Übungen machten sie immer nur zu zweit. »Mittlerweile kennt sie meine Tricks zu gut.«
Myrelle rieb sich lachend und voller Schadenfreude die Hände und setzte sich auf den zweiten Stuhl, während das Licht der Macht sie einhüllte.
Grimmig wandte Moiraine ihnen den Rücken zu und nahm das zweite Gewebe wieder auf, aber Siuan sagte: »Von Anfang an, Moiraine. Das weißt du doch besser. Du musst die Reihenfolge so fest im Kopf haben, dass dich nichts nervös machen kann.«
Mit leisem Seufzen erschuf Moiraine noch einmal die silbrigblaue Münze aus Luft und machte dann weiter.
In gewisser Weise hatte Siuan recht, dass sie ihre Tricks kannte. Siuan gefiel Kitzeln im ungünstigsten Moment, plötzliches Stoßen an unangenehmen Stellen, peinliche Liebkosungen und erschreckende Geräusche direkt hinter dem Ohr. Das und die schockierendsten Dinge zu sagen, die ihr einfielen, und sie hatte selbst nach der Arbeit der Schwestern mit ihrer Ausdrucksweise eine lebhafte Vorstellungskraft. Aber ihre Tricks zu kennen machte es keineswegs einfacher, die Beherrschung nicht zu verlieren. Moiraine musste wegen ihr zweimal von vorn anfangen. Myrelle war noch schlimmer. Sie mochte Eis. Eis war leicht herzustellen, man musste nur Feuer und Wasser benutzen, um es aus der umgebenden Luft zu ziehen. Aber Moiraine hätte gern gesehen, wie Myrelle es schaffte, es in ihrem Kleid materialisieren zu lassen, an den schlimmsten Stellen. Myrelle lenkte auch Ströme, um ein scharfes Zwicken hervorzurufen, als hätte man sie mit einer Rute geschlagen, und manchmal gab es auch einen richtigen Schlag auf die Kehrseite wie mit einem Gürtel. Es war ein echtes Zwicken und auch echte Schläge; die Schwellungen, die sie hinterließen, waren ebenfalls echt. Einmal hob Myrelle sie mit Stricken aus Luft einen Fuß vom Boden hoch – sie war davon überzeugt, dass sie es war; Siuan hatte so etwas nie zuvor getan – und drehte sie langsam um, bis ihre Füße zur Decke wiesen und ihr die Röcke über den Kopf fielen. Mit klopfendem Herzen und nahe an einer Panik schob sie sich mit den Händen die Röcke aus dem Gesicht. Das geschah nicht aus Gründen der Schicklichkeit; sie musste weiter weben. Man konnte ein Gewebe halten, ohne es zu sehen, aber man konnte nicht weben, und wenn dieses besondere Gewebe der Macht zusammenbrechen würde, würde es ihr einen schmerzhaften Schlag versetzen, so als hätte sie die Schuhe über einen Teppich gerieben und dann ein Stück Eisen angefasst, nur dreimal so schlimm und das am ganzen Körper. Es gelang ihr, es erfolgreich zu vollenden, aber insgesamt brach Myrelle ihre Konzentration ganze vier Mal!
Das entfachte in ihr eine wachsende Gereiztheit, aber die hatte mir ihr selbst zu tun, nicht mit Myrelle. In einer Sache waren sich alle Aufgenommenen einig: Was auch immer einem die Schwestern während der Prüfung antaten, es würde schlimmer als alles sein, was sich ihre Freundinnen
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