Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)
zu sehen. Vor allem, wenn es sich wie hier um ein Feld voller Wildblumen handelte. Wie passte das zu all der Gewalt und dem Tod, die ihre Wände schmückten? Hochgewachsen und schlank sah Kerene ganz genau wie das aus, was sie war, ihr altersloses Gesicht war stark und schön, ihre beinahe schwarzen Augen Seen voller heiterer Ruhe. Selbst hier trug sie Reitkleidung, der Reitrock wies smaragdgrüne Schlitze auf, und ihr dunkles Haar mit der einen oder anderen weißen Strähne war kürzer geschnitten als Kariles oder Stepins Haar und zu einem dicken Zopf zusammengefasst. Zweifellos war ein solcher Schnitt auf der Reise leichter zu pflegen. Kerene blieb selten lange in der Burg, bevor sie wieder aufbrach. Sie legte die Nadel auf dem Stickrahmen ab, nahm den Brief entgegen und brach das grüne Wachssiegel mit dem Daumen. Tamra versiegelte Botschaften an Schwestern immer mit Wachs in der Farbe der Ajah der Empfängerin.
Was auch immer Tamra geschrieben hatte, war schnell gelesen, und in Kerenes Gesicht regte sich kein Muskel, aber bevor die Grüne zu Ende gelesen hatte, lehnte Stepin die Laute an einen Seitentisch und fing an, den Mantel zuzuknöpfen. Karile stellte das Buch in ein Regal, klopfte die Pfeife im Kamin aus und steckte sie dann in eine große Manteltasche. Das war alles, aber sie waren bereit und warteten. Trotz seiner traurigen Augen sah Stepin nicht länger wie ein Schreiber aus. Beide waren sie Leoparden, die auf den Jagdbefehl warteten.
»Wird es eine Antwort geben, Aes Sedai?«, fragte Moiraine.
»Ich bringe sie selbst, Kind«, erwiderte Kerene und ging mit energischem Schritt, der den Seidenrock leise rascheln ließ, in Richtung Tür. »Tamra will mich dringend sehen«, sagte sie zu den beiden Behütern, die ihr wie Jagdhunde auf den Fersen folgten, »aber sie hat keinen Grund genannt.«
Moiraine gestattete sich ein schmales Lächeln. Wie bei Dienern vergaßen Schwestern oft, dass Aufgenommene Ohren hatten. Manchmal erfuhr man am besten etwas, wenn man schwieg und zuhörte.
Als sie den zugigen, spiralförmigen Korridor wieder nach unten ging, dachte sie darüber nach, was sie erfahren hatte, während sie versuchte, die Kälte zu ignorieren. Da kam Siuan hinter ihr hergelaufen. Es waren keine Schwestern in Sicht, trotzdem …
»Eine weitere Botschaft«, erklärte Siuan. »An Aisha Raveneos. Sie hat etwas davon gemurmelt, dass es eilig sei, und es wie eine Frage klingen lassen. Ich wette, es war die gleiche Botschaft wie jene, die du Kerene gebracht hast. Was, glaubst du, will Tamra von einer Grauen und einer Grünen?«
Die Grauen kümmerten sich um Angelegenheiten der Vermittlung und der Gerechtigkeit, die sich hier allerdings von Gesetzen statt Schwertern ableitete, und Aisha hatte den Ruf, sich strikt an den Buchstaben des Gesetzes zu halten, ganz egal, welche Gefühle sie dabei hatte, ob es nun Mitleid oder Verachtung war. Eine Eigenschaft, die sie mit Kerene teilte. Und beide Frauen trugen die Stola schon lange Zeit, obwohl das keine Rolle spielen musste. Moiraine war vielleicht nicht so geschickt mit Rätselspielen wie Siuan, aber das hier war wirklich wie das Spiel der Häuser.
Sie sah sich sorgfältig um, einschließlich eines Blicks über die Schulter. Ein Stück weiter den Gang entlang kürzte eine Dienerin die Dochte eines Kandelabers, und zwei livrierte Männer, von denen einer auf einer hohen Leiter stand, machten etwas an einem Wandbehang. Es war noch immer keine Schwester in Sicht, aber sie senkte trotzdem die Stimme. »Tamra will, dass … Sucherinnen nach dem Jungen Ausschau halten. Oh, das ändert alles. Ich habe mich geirrt, Siuan. Und du hattest recht.«
»Worin hatte ich recht? Und wie kommst du darauf, dass sie Sucherinnen rekrutiert?« Wie konnte die Frau nur so geschickt bei Rätselspielen sein und hier das Muster nicht erkennen?
»Welche Angelegenheit könnte im Moment für Tamra dringender als der Junge sein, Siuan?«, fragte sie geduldig. »Oder geheimer, dass sie es nicht wagt, den Grund zu Papier zu bringen? Die Geheimhaltung bedeutet, dass sie glaubt, man könnte den Roten nicht vertrauen. Darin hattest du recht. Und darüber hinaus, wie viele Schwestern werden zuerst bestreiten wollen, dass dieses Kind wirklich das ist, was prophezeit wurde? Vor allem, wenn er der Entdeckung entgehen kann, bis er ein erwachsener Mann ist und die Macht bereits lenkt. Nein, für die Suche nach ihm will sie Schwestern nehmen, deren sie sich sicher ist. Geirrt habe ich mich in der
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