Das Rad der Zeit 1. Das Original
sich fort.
Das Land um ihn herum war flach und leer.
In der Nähe rauschte träge ein Fluss, breit und gerade, aber er fühlte, dass es
im Umkreis Hunderter von Meilen keine Menschen gab. Er war allein, so allein
ein Mann nur sein konnte, während er noch lebte, doch den Erinnerungen
vermochte er nicht zu entkommen. Die Augen verfolgten ihn durch die endlosen Höhlen
seines Geistes. Er konnte sich nicht vor ihnen verstecken. Die Augen seiner
Kinder. Ilyenas Augen. Tränen glitzerten auf seinen Wangen, als er das Gesicht
dem Himmel zuwandte.
»Licht, vergib mir!« Er glaubte nicht,
dass ihm Vergebung zuteil wurde. Nicht für das, was er getan hatte. Doch er
schrie es trotzdem in den Himmel hinein, bettelte um etwas, an dessen Gewährung
er nicht glaubte. »Licht, vergib mir!«
Er stand immer noch mit Saidin in Verbindung, der
männlichen Hälfte der Macht, die das Universum antrieb, die das Rad der Zeit
drehte, und er fühlte den öligen Schmutz, der ihre Oberfläche befleckte, die
Verderbnis, die der Gegenschlag des Schattens darüber gebracht hatte, die
Verderbnis, die die Welt zum Untergang verurteilte. Seinetwegen. Weil er in
seiner Verblendung geglaubt hatte, Menschen könnten es dem Schöpfer gleichtun,
könnten zusammenfügen, was der Schöpfer erschaffen und was sie zerbrochen
hatten. Das hatte er in seinem Stolz geglaubt.
Tief zog er Kraft aus der Wahren Quelle
und dann noch einmal, wie ein Verdurstender. Schnell hatte er mehr von der
Einen Macht in sich aufgesogen, als er ohne Hilfe handhaben konnte; seine Haut
schien zu brennen. Er nahm alle Kraft zusammen und versuchte, noch mehr
aufzunehmen, versuchte, alles aufzunehmen.
»Licht, vergib mir! Ilyena!«
Die Luft verwandelte sich in Feuer, das
Feuer in verflüssigtes Licht. Der Blitz, der vom Himmel herabzuckte, hätte
jedes Auge geblendet, das ihn auch nur einen Moment lang erblickte. Er fuhr aus
dem Himmel hernieder, flammte durch Lews Therin Telamon hindurch und bohrte
sich in die Eingeweide der Erde. Seine Berührung verwandelte Stein in Dampf.
Die Erde zuckte und erzitterte wie ein lebendes Wesen im Todeskampf. Der Blitz
existierte nur einen Herzschlag lang, verband Erde und Himmel, doch auch
nachdem er verschwunden war, wölbte sich die Erde auf wie ein Meer im Sturm.
Geschmolzener Fels wurde hundert Spannen hoch in die Luft geschleudert, und der
stöhnende Boden erhob sich und schob den brennenden Springbrunnen weiter hoch,
immer höher. Aus dem Norden und Süden, aus dem Osten und Westen heulte der Wind
heran, brach Bäume wie kleine Ãste entzwei, kreischte und pfiff, als wolle er
den wachsenden Berg himmelwärts drücken.
SchlieÃlich erstarb der Wind, die Erde
beruhigte sich und murmelte nur noch zitternd vor sich hin. Von Lews Therin
Telamon war nichts geblieben. Wo er gestanden hatte, ragte nun ein gewaltiger
Berg in den Himmel. Aus dem zerfetzten Gipfel quoll immer noch dünnflüssige
Lava. Der Fluss war in einer Kurve vom Berg weggeschoben worden und teilte sich
unweit davon. In der Mitte war eine lange Insel entstanden. Der Schatten des
Bergs erreichte beinahe die Insel; er lag dunkel wie die drohende Hand der
Prophezeiung über dem Land. Eine Zeit lang war nur das dumpfe Grollen der Erde
zu hören.
Auf der Insel schimmerte die Luft und zog
sich zu einem Wirbel zusammen. Der schwarz gekleidete Mann stand da und
betrachtete den feurigen Berg, der sich aus der Ebene erhob. Sein Gesicht
verzog sich vor Wut und Verachtung. »Du kannst nicht so leicht entkommen,
Drache. Wir sind noch nicht fertig miteinander. Es ist erst zu Ende, wenn alle
Zeiten enden.«
Dann war er weg, und Berg und Insel
ruhten einsam. Warteten.
Und der Schatten fiel über das Land,
und die Welt wurde Stein um Stein zerrissen.
Die Meere flohen, und die Berge wurden verschluckt,
und die Staaten wurden in die acht Ecken
der Welt verstreut. Der Mond war wie Blut, und die
Sonne war wie Asche. Die Meere kochten,
und die Lebenden beneideten die Toten. Alles war
zerschlagen und bis auf die Erinnerung verloren,
und eine Erinnerung stand über allem: an ihn, der den
Schatten gebracht und die Zerstörung der Welt ver-
ursacht hatte. Und ihn nannten sie Drache.
Aus: Aleth
nin Taerin alta Camora,
der Zerstörung der Welt
(unbekannter Autor, Viertes Zeitalter)
Und es geschah in jenen Tagen, wie es zuvor
geschehen war und wieder geschehen würde, dass die
Dunkelheit
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