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Das Rad der Zeit 1. Das Original

Das Rad der Zeit 1. Das Original

Titel: Das Rad der Zeit 1. Das Original
Autoren: Robert Jordan
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älterer Frauen leise Lieder, während sie den Frühlingsbaum
aufrichteten. Man hatte den geraden schlanken Stamm einer Tanne von den Ästen
befreit, und selbst aus dem Loch, das sie dafür gegraben hatten, ragte er noch
fast zwei Spannen hoch heraus. Einige Mädchen, die zu jung waren, um ihr Haar
wie die erwachsenen Frauen in Zöpfen um den Kopf zu tragen, saßen mit
übergeschlagenen Beinen daneben und sahen neidvoll zu. Gelegentlich sangen sie
Teile eines Liedes mit, das die Frauen anstimmten.
    Tam schnalzte Bela mit der Zunge zu, als
wolle er, dass sie schneller gehe, doch sie überhörte es einfach. Rand hielt
krampfhaft den Blick von den Frauen abgewandt, denn am Morgen mussten die
Männer ganz überrascht tun, wenn sie den Baum vorfanden, und um die Mittagszeit
tanzten die unverheirateten Frauen dann um den Baum und umwickelten ihn mit
langen farbigen Bändern, während die ledigen Männer sangen. Keiner wusste, seit
wann und warum man diese Tradition pflegte – so waren eben die Bräuche seit
alters –, aber sie lieferte einen guten Vorwand, um zu singen und zu tanzen,
und dazu brauchte man niemanden von den Zwei Flüssen noch deutlicher
aufzufordern.
    Den ganzen Tag des Bel Tine über würde
man singen und tanzen und feiern, und immer wieder rannte man um die Wette und
genoss Wettbewerbe aller Art. Nicht nur die Bogenschützen konnten Preise
erringen, sondern auch die Besten mit der Schleuder und dem Bauernspieß – dem
Schlagstock. Es würde Wettbewerbe im Rätselraten geben und im Tauziehen, im
Gewichtheben und Steinstoßen, Preise für die besten Sänger, die besten Tänzer
und den besten Fiedler, für den Schnellsten im Schafscheren und sogar im Kegeln
und Pfeilwerfen.
    Normalerweise feierte man Bel Tine, wenn
der Frühling voll und ganz im Gang war, wenn die ersten Lämmer geboren wurden
und die Saat aufging. Aber selbst bei dieser andauernden Kälte war es niemandem
in den Sinn gekommen, das Fest zu verschieben. Ein wenig Gesang und Tanz würde
allen gut tun. Und zur Krönung des Ganzen, falls man den Gerüchten trauen
konnte, war auf dem Grün ein großes Feuerwerk geplant – falls der erste Händler
des Jahres rechtzeitig eintraf, versteht sich. Das war zum heißesten Thema
geworden; das letzte Feuerwerk hatte vor zehn Jahren stattgefunden, und man
erzählte sich immer noch davon.
    Die Weinquellen-Schenke stand am
östlichen Rand des Grüns gleich neben der Wagenbrücke. Das Erdgeschoss der
Schenke war aus Flussfels gebaut. Allerdings bestanden die Grundmauern aus
älterem Gestein, von dem einige behaupteten, es käme aus den Bergen. Der weiß
getünchte erste Stock, in dem Brandelwyn al’Vere, der Gastwirt und
Bürgermeister der vergangenen zwanzig Jahre, mit Frau und Töchtern wohnte,
ragte rundherum ein Stück über das Erdgeschoss hinaus. Rote Dachziegel – es war
das einzige Ziegeldach im ganzen Ort – glänzten im blassen Sonnenschein, und
Rauch quoll aus drei der zwölf hohen Schornsteine der Schenke.
    Am Südende der Schenke, auf der dem Bach
abgewandten Seite, erstreckten sich die Reste viel größerer Grundmauern, die
einst ein Teil der Schenke gewesen waren; zumindest behauptete man das. In
deren Mitte wuchs nun eine riesige Eiche. Ihr Stamm hatte einen Umfang von fast
dreißig Schritten, und die ausladenden Äste waren so dick wie der Körper eines
ausgewachsenen Mannes. Im Sommer stellte Bran al’Vere Tische und Bänke unter
diese Äste, deren Blätter dann Schatten spendeten und wo die Leute ein Glas
trinken und den kühlenden Wind genießen konnten, während sie sich unterhielten
oder sich die Zeit mit einem Brettspiel vertrieben.
    Â»So, da wären wir, mein Junge.« Tam
wollte nach Belas Geschirr fassen, doch sie blieb vor der Schenke stehen, bevor
er das Leder auch nur berührt hatte. »Kennt den Weg besser als ich«,
schmunzelte er.
    Als der letzte Quietschton der Achse
verflog, erschien Bran al’Vere in der Tür der Schenke. Wie immer erschien sein
Schritt zu leicht für einen Mann seiner Statur. Er war immerhin etwa doppelt so
stark wie jeder andere Mann im Dorf. Ein Lächeln überzog sein rundes Gesicht
unter dem spärlichen grauen Haarkranz. Trotz der Kühle war der Wirt in
Hemdsärmeln und hatte eine fleckenlos weiße Schürze umgebunden. Auf der Brust
hing ihm ein silbernes
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