Das Rad der Zeit 1. Das Original
schmerzerfüllt seine
geschwärzte Hand ausstreckte, um sanft eine Eichel zu umschlieÃen.
Die Erde grollte, als zwischen seinen Fingern
ein Eichenschössling emporwuchs. Der Kopf des Grünen Mannes sackte herunter,
doch der Schössling streckte sich der Sonne entgegen. Wurzeln schossen heraus
und festigten sich, gruben sich in den Boden, schoben sich wieder heraus und
wurden immer dicker, während sie wieder einsanken. Der Stamm verbreiterte sich
und streckte sich nach oben. Die Rinde wurde grau und rissig und alt. Ãste
breiteten sich aus und wurden schwer, armdick, mannsgroÃ, erhoben sich, den
Himmel zu liebkosen, dicht mit grünem Laub bewachsen, voll von Eicheln. Das
massive Netzwerk von Wurzeln warf die Erde auf wie ein Pflug, während es sich
vergröÃerte; der ohnehin schon riesige Stamm zitterte, verbreiterte sich erneut
zum Durchmesser eines Hauses. Stille verbreitete sich. Und eine Eiche, die auch
fünfhundert Jahre alt sein konnte, bedeckte den Fleck, an dem der Grüne Mann
gelegen hatte. Sie war das Zeichen für das Grab einer Legende. Nynaeve lag auf
den knorrigen Wurzeln, die krumm gewachsen waren, um ihre Gestalt zu umfassen,
um ein Bett für sie zu bilden, auf dem sie ruhen konnte. Der Wind seufzte durch
die Zweige der Eiche; er schien ein Lebewohl zu murmeln.
Selbst Aginor schien wie betäubt. Dann
hob er den Kopf, und die Höhlenaugen glühten vor Hass. »Genug! Es ist höchste
Zeit, dies zu beenden!«
»Ja, Verlorener«, sagte Moiraine mit
einer Stimme, die so kalt klang wie das Eis im tiefsten Winter. »Höchste Zeit!«
Die Hand der Aes Sedai hob sich, und der
Boden brach unter Aginors FüÃen ein. Flammen erhoben sich prasselnd aus der Kluft,
wurden von dem aus allen Richtungen heranheulenden Wind aufgepeitscht, saugten
einen Strudel von Blättern in sich hinein, der sich zu einem rotgeäderten,
flüssigen gelben Strahl purer Hitze verfestigte. In der Mitte stand Aginor, die
FüÃe nur von Luft gehalten. Der Verlorene sah überrascht aus, doch dann
lächelte er und trat einen Schritt vor. Es war ein langsamer Schritt, als
versuche das Feuer, ihn am gleichen Fleck festzuhalten, aber er tat ihn, und
dann noch einen.
»Rennt!«, befahl Moiraine. Ihr Gesicht
war vor Anstrengung weiÃ. »Rennt alle weg!« Aginor schritt durch die Luft auf
die Kante der Flammen zu.
Rand konnte aus dem Augenwinkel erkennen,
wie andere sich bewegten, wie Mat und Perrin weghetzten, wie Loials lange Beine
ihn in den Wald hineintrugen, doch alles, was er wirklich sah, war Egwene. Sie
stand starr da mit bleichem Gesicht und geschlossenen Augen. Es war nicht die
Angst, die sie dort festhielt, erkannte er. Sie versuchte, ihre winzige,
ungeübte Kraft in der Anwendung der Macht gegen den Verlorenen einzusetzen.
Grob packte er sie am Arm und zog sie
herum, bis ihr Gesicht ihm zugewandt war. »Lauf weg!«, schrie er sie an. Ihre
Augen öffneten sich und blickten ihn an. Zorn war darin zu sehen, weil er sich
eingemischt hatte, und blinder Hass auf Aginor, aber auch Furcht vor dem
Verlorenen. »Renn!«, sagte er und schob sie in Richtung der Bäume. Er tat es so
kräftig, dass sie losstolperte. Kaum dass sie sich in Bewegung gesetzt hatte, rannte
sie auch schon.
Aber Aginors verwittertes Gesicht wandte
sich ihm zu und auch der davonrennenden Egwene hinter ihm, während der
Verlorene durch die Flammen wandelte, als ginge ihn das, was die Aes Sedai tat,
überhaupt nichts an. Er blickte hinter Egwene her.
»Nicht sie!«, schrie Rand. »Das Licht
verbrenne Euch, aber sie bekommt Ihr nicht!« Er schnappte sich einen
Felsbrocken und warf ihn. Er hoffte, damit Aginors Aufmerksamkeit zu erregen.
Auf halbem Weg zum Gesicht des Verlorenen verwandelte sich der Stein in eine
Hand voll Staub.
Er zögerte nur einen Augenblick lang,
lang genug, um nach hinten zu blicken und zu sehen, dass Egwene zwischen den
Bäumen verborgen war. Die Flammen umgaben Aginor immer noch, Fetzen seines
Umhangs glimmten, aber er schlenderte einher, als habe er alle Zeit der Welt,
und das Feuer war nah. Rand drehte sich um und rannte los. Hinter sich hörte
er, wie Moiraine laut aufschrie.
KAPITEL 51
Gegen den Schatten
D er Weg, den Rand gewählt hatte,
führte stetig aufwärts, aber die Angst verlieh seinen Beinen Kraft, und er kam
mit langen Schritten schnell voran. Er bahnte sich seinen Weg durch blühende
Büsche und
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