Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
elegante, zurückhaltende, ausgeglichene und vornehme Frau gewesen. Alliandre die Gai’shain war noch immer hübsch, aber sie trug ständig einen gehetzten Ausdruck. Mit den feuchten Flecken auf ihrem Gewand und den vom langen Eintauchen ins Wasser geschrumpelten Händen hätte sie als hübsche Waschfrau durchgehen können. Sie sah zu, wie Rolan den Korb abstellte und Faile zulächelte, bevor er davonging, sah zu, wie Faile das Lächeln erwiderte, und hob fragend eine Braue.
»Er ist derjenige, der mich gefangen genommen hat«, sagte Faile und stapelte Kleidungsstücke aus dem Korb auf den Tisch. Selbst hier unter Gai’shain war es besser, beim Sprechen zu arbeiten. »Er gehört zu den Bruderlosen, und ich glaube, es missfällt ihm, dass man Feuchtländer zu Gai’shain macht. Ich glaube, er könnte uns nützlich sein.«
»Ich verstehe«, sagte Alliandre. Mit einer Hand strich sie behutsam über den Rücken von Failes Gewand.
Stirnrunzelnd blickte Faile über die Schulter. Einen Augenblick lang starrte sie den Schmutz und die Asche an, die ihren Rücken von den Schultern abwärts bedeckten, dann schoss Hitze in ihre Wangen. »Ich bin gefallen«, sagte sie schnell. Sie konnte Alliandre nicht erzählen, was mit Nadric vorgefallen war. Sie glaubte nicht, es jemals jemandem erzählen zu können. »Rolan hat angeboten, mir den Korb zu tragen.«
Alliandre zuckte mit den Schultern. »Wenn er mir bei der Flucht helfen würde, würde ich ihn heiraten. Oder auch nicht, ganz wie er will. Er ist nicht besonders ansehnlich, aber es wäre auch keine Qual, und mein Ehemann, wenn ich denn einen hätte, müsste es niemals erfahren. Wenn er auch nur einen Funken Verstand hätte, wäre er überglücklich, mich zurückzuhaben, und würde keine Fragen stellen, deren Antworten er nicht würde hören wollen.«
Faile biss die Zähne zusammen, ihre Hände krallten sich in eine Seidenbluse. Alliandre war durch Perrin ihre Lehnsfrau. Zwar befolgte sie Befehle, aber es hatten sich Spannungen in die Natur ihrer Beziehung geschlichen. Sie waren übereingekommen, dass sie, wenn sie überleben wollten, versuchen mussten, wie Diener zu denken, versuchen mussten, Diener zu sein . Aber das bedeutete auch, dass sie beide gesehen hatten, wie die andere auf die Knie ging und jedem Befehl eifrig nachkam. Sevannas Bestrafungen wurden immer von dem Gai’shain ausgeführt, der gerade in der Nähe stand, und einmal hatte Faile den Befehl erhalten, Alliandre eine Prügelstrafe zu verabreichen. Noch schlimmer aber war, dass Alliandre den Gefallen zweimal hatte erwidern müssen. Dabei Zurückhaltung an den Tag zu legen, bedeutete nur, dass man selbst in den Geschmack der Strafe kam, außerdem erhielt die andere Frau dann die doppelte Abreibung von jemandem, der seinen Arm nicht schonte. Es musste einen Unterschied machen, wenn man seine Lehnsherrin zweimal zum Zappeln und Schreien gebracht hatte.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass die Bluse, die sie da hielt, zu denen gehörte, die noch schmutziger geworden waren, als der Korb umkippte. Sie löste den Griff und musterte sie erschrocken. Aber es hatte nicht den Anschein, dass sie den Schmutz in den Stoff gerieben hatte. Einen Augenblick lang verspürte sie Erleichterung und dann Gereiztheit, weil sie erleichtert war. Und noch viel schlimmer war, dass die Erleichterung nicht verschwand.
»Arrela und Lacile sind vor drei Tagen entkommen«, raunte sie. »Mittlerweile mussten sie außer Reichweite sein. Wo ist Maighdin?«
Ein besorgter Ausdruck trat in das Gesicht der anderen Frau. »Sie will sich in Theravas Zelt schleichen. Therava ist uns mit einer Gruppe Weiser Frauen entgegengekommen, und soweit wir hören konnten, waren sie auf dem Weg zu einem Treffen mit Sevanna. Maighdin hat mir ihren Korb in die Hand gedrückt und gesagt, sie wolle es versuchen. Ich glaube … ich glaube, sie ist so verzweifelt, dass sie zu große Risiken eingeht«, sagte sie resigniert. »Mittlerweile hätte sie längst wieder da sein müssen.«
Faile holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Sie alle wurden verzweifelt. Sie hatten Dinge für die Flucht gesammelt – Messer und Nahrung, Stiefel und Männerhosen und Mäntel, die halbwegs passten, und alles lag sorgfältig in den Wagen versteckt; die weißen Gewänder würden als Decken dienen sowie als Umhänge, um sie im Schnee zu verbergen –, aber die Gelegenheit, dies alles auch zu benutzen, schien kein Stück nähergerückt zu sein als an dem Tag ihrer Gefangennahme.
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