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Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)

Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)

Titel: Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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unterdrücken. Sie hätte so lange auf ihn eingestochen, bis sie die Arme nicht mehr hätte heben können.
    Sie stand auf, stellte sich auf ihre unsicheren Beine und tastete mit der Zunge ihre Zähne ab. Sie waren alle noch da, keiner war zerbrochen oder fehlte. Die raue Wolle von Nadrics Mantel hatte ihr das Gesicht aufgescheuert und ihre Lippen waren wund, aber sie war unverletzt. Sie hielt diesen Gedanken fest. Sie war unverletzt und konnte die Gasse aus freiem Willen verlassen. Jedenfalls so frei, wie man in einem Gai’shain -Gewand sein konnte. Wenn es viele wie Nadric gab, die den Schutz dieses Gewands nicht länger anerkannten, dann brach unter den Shaido die Ordnung zusammen. Das Lager würde ein noch gefährlicherer Ort sein, aber fehlende Ordnung würde nur noch mehr Gelegenheiten zur Flucht erschaffen. Aus dieser Perspektive musste sie es betrachten. Sie hatte etwas erfahren, das ihr helfen konnte. Wenn sie doch bloß aufgehört hätte zu zittern.
    Schließlich wandte sie sich zögernd ihrem Retter zu. Sie hatte seine Stimme erkannt. Er stand ein gutes Stück von ihr entfernt und beobachtete sie ruhig, machte keinerlei Anstalten, sie zu trösten. Vermutlich hätte sie geschrien, wenn er sie berührt hätte. Noch eine Absurdität, immerhin hatte er sie gerettet, aber das war eine Tatsache. Rolan war kaum mehr als ein paar Fingerbreit kleiner als Nadric und beinahe genauso breit, und Faile hatte auch genug Gründe, ihn zu erstechen. Er war kein Shaido, sondern gehörte zu den Bruderlosen, den Mera’din , Männer, die ihre Clans verlassen hatten, weil sie Rand al’Thor nicht folgen wollten, und er war tatsächlich derjenige gewesen, der sie »zur Gai’shain gemacht« hatte. Sicher, er hatte sie in der Nacht ihrer Entführung vor dem Erfrieren bewahrt, indem er sie in seinen Mantel gehüllt hatte, aber sie hätte das Kleidungsstück nicht gebraucht, hätte er nicht zuvor jeden Fetzen Stoff von ihrem Körper heruntergeschnitten. Der erste Schritt, jemanden zum Gai’shain zu machen, bestand immer darin, ihn nackt auszuziehen, aber das war kein Grund für sie, ihm zu vergeben.
    »Danke«, sagte sie, und das Wort schmeckte bitter auf ihrer Zunge.
    »Ich habe nicht um Dankbarkeit gebeten«, sagte er milde. »Sieh mich nicht an, als wolltest du mich nur beißen, weil du Nadric nicht beißen konntest.«
    Sie schaffte es, ihn nicht anzufauchen, wenn auch nur mit Mühe – im Augenblick hätte sie keine Demut zustande gebracht, selbst wenn sie es gewollt hätte –, bevor sie sich abwandte und zur Straße marschierte. Das heißt, sie wollte marschieren. Ihre Beine zitterten noch immer so sehr, dass es mehr ein Taumeln war. Die vorbeigehenden Gai’shain schenkten ihr kaum einen Blick, während sie sich mit ihren Wassereimern die Straße entlangschleppten. Nur wenige der Gefangenen wollten sich mit den Sorgen anderer Leute belasten. Sie hatten genug eigene.
    Als Faile den Wäschekorb erreichte, stieß sie ein Seufzen aus. Er lag auf der Seite, und weiße Seidenblusen und dunkle Seidenreitröcke breiteten sich über das schmutzige, ascheverschmierte Kopfsteinpflaster aus. Wenigstens war keiner daraufgetreten. Man hätte niemandem, der den ganzen Morgen Wasser geschleppt und einen weiteren Tag dieser Beschäftigung noch vor sich hatte, verübeln können, wenn er keinen Bogen um herumliegende Kleidungsstücke gemacht hätte, die man den zu Gai’shain gemachten Bürgern Maldens vom Leib geschnitten hatte. Sie hätte versucht, ihnen zu vergeben. Sie stellte den Korb aufrecht hin und fing an, die Kleider einzusammeln, schüttelte soweit möglich den Dreck und die Asche ab und achtete sorgfältig darauf, den verbleibenden Rest nicht tiefer in den Stoff zu drücken. Im Gegensatz zu Someryn hatte Sevanna an Seide Gefallen gefunden. Sie trug nichts anderes mehr. Sie war auf ihre seidene Kleidung genauso stolz wie auf ihre Juwelen, und bei beiden gleichermaßen besitzergreifend. Sie würde nicht erfreut sein, wenn auch nur eines dieser Kleidungsstücke nicht sauber zurückkam.
    Als Faile die letzte Bluse obenauf legte, griff Rolan an ihr vorbei und hob den Korb mit einer Hand hoch. Im Begriff, ihn anzuschnauzen – sie konnte ihre Last selbst tragen, vielen herzlichen Dank! –, schluckte sie die Worte wieder hinunter. Ihr Verstand war die einzige Waffe, die ihr zur Verfügung stand, und sie musste ihn benutzen, statt ihrem Temperament freien Lauf zu lassen. Rolan war nicht zufällig da gewesen. Das war kaum vorstellbar.

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