Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
nach ihnen suchte, und auch jeder Myrddraal wäre gewarnt gewesen. Nicht notwendig, seine Feinde auch noch zu ihm zu führen, wenn sie endlich einmal nicht wussten, wo er sich befand. Dieses Gewebe würde auch einer der Verlorenen nicht bemerken, bis er sich direkt davor befand, und ein Myrddraal überhaupt erst, wenn es zu spät war.
Saidin wieder loszulassen war eine Übung in Selbstbeherrschung, trotz der Fäule der Verderbnis, trotz der alles mitreißenden Macht, die ihn wie Sand in einem Flussbett wegzuschwemmen drohte, ihn verbrennen, auslöschen wollte. Er trieb durch die riesige Leere des Nichts, und doch konnte er jeden Luftzug an jedem einzelnen seiner Haare spüren, das Gewebe der Gewänder der Gai’shain genau erkennen und Aviendhas warmen Duft wahrnehmen. Er wollte mehr. Doch er konnte auch die Aschenhaufen in Taien riechen und die verbrannten Leichen, die Verwesung derer, die noch nicht verbrannt worden waren, sogar der bereits beerdigten, und dazu noch vermischt mit dem Duft der trockenen Erde ihrer Gräber. Das half ihm. Eine Weile noch, nachdem er Saidin aufgegeben hatte, holte er tief Luft, sog die heiße, trockene Luft in sich ein, aber im Vergleich zu vorher war der Gestank des Todes nicht mehr wahrzunehmen, und die Luft selbst war rein und wunderbar.
»Seht her, was vor uns hier wohnte«, sagte Aviendha, als er eine weiß gekleidete Frau mit unterwürfiger Miene Jeade’en wegführen ließ. Sie hielt eine braune Schlange hoch, tot, so dick wie sein Unterarm und fast drei Schritt lang. Die Blutschlange hatte ihren Namen der Wirkung ihres Bisses zu verdanken, die das Blut innerhalb von Minuten gerinnen ließ. Wenn er sich nicht irrte, stammte die glatte Schnittwunde hinter ihrem Kopf von Aviendhas Messer. Adelin und die anderen Töchter blickten zustimmend zu ihr herüber.
»Habt Ihr auch nur eine Sekunde lang daran gedacht, dass sie Euch hätte beißen können?«, fragte er. »Habt Ihr nicht daran gedacht, die Macht zu gebrauchen, anstatt eines verdammten Messers? Warum habt Ihr sie nicht erst einmal geküsst? Ihr müsst ihr doch nahe genug gewesen sein!«
Sie richtete sich steif auf, und ihre großen grünen Augen hätten beinahe die Kühle der Nacht verfrüht herbeigezaubert. »Die Weisen Frauen sagen, es sei nicht gut, die Macht zu oft zu gebrauchen.« Die knappen Worte klangen genauso kalt, wie ihre Augen dreinblickten. »Sie sagen, es sei möglich, zu viel der Macht an sich zu ziehen und sich damit selbst zu schaden.« Dann fügte sie mit leicht gerunzelter Stirn hinzu, allerdings mehr an sich selbst gerichtet als an ihn: »Obwohl ich bei Weitem noch nicht so viel aufgenommen habe, wie ich beherrschen kann. Da bin ich sicher.«
Er schüttelte den Kopf und duckte sich in das Zelt hinein. Die Frau war einfach keiner Vernunft zugänglich.
Er hatte sich kaum gegen ein Seidenkissen in der Nähe des noch nicht entzündeten Feuers gelehnt, da folgte sie ihm, glücklicherweise ohne die Blutschlange. Doch sie trug ganz vorsichtig etwas mit herein, das in eine dicke, grau gestreifte Wolldecke eingewickelt war. »Ihr habt Euch um mich Sorgen gemacht«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. Auch ihr Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck.
»Natürlich nicht«, log er. Törichte Frau. Sie wird sich noch umbringen, weil sie so unvernünftig ist und unvorsichtig, wenn Vorsicht angesagt wäre. »Ich hätte mir um jeden anderen genauso Sorgen gemacht. Ich will nicht, dass irgendjemand von einer Blutschlange gebissen wird.«
Einen Augenblick lang sah sie ihn zweifelnd an, dann nickte sie schnell. »Gut. Solange Ihr nur mich nicht in den Mittelpunkt stellt.« Sie warf ihm das Deckenbündel vor die Füße und hockte sich auf der anderen Seite der Feuergrube nieder. »Ihr wolltet die Gürtelschnalle nicht akzeptieren, um eine Schuld zwischen uns zu begleichen …«
»Aviendha, es gibt keine Schuld zwischen uns.« Er hatte geglaubt, sie habe diese Sache endlich vergessen. Doch sie fuhr fort, als habe er gar nichts gesagt: »… aber dies hier wird sie nun vielleicht endgültig begleichen.«
Seufzend wickelte er die gestreifte Decke auf – vorsichtig, da sie das Bündel viel nervöser in Händen gehalten hatte als zuvor die Schlange, denn die hatte sie lediglich wie ein Stück Stoff behandelt –, schlug die letzte Falte zur Seite und schnappte nach Luft. Drinnen lag ein Schwert. Die Scheide war mit so vielen Rubinen und Mondperlen besetzt, dass man das darunterliegende Gold kaum noch sehen konnte, außer
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