Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
zwischen ihr und mir steht, geht nur sie und mich an, aber ich werde dich ihr übergeben. Ganz bestimmt. Wenn du stirbst, trage ich deinen Leichnam zu ihr. Wenn du stirbst …!«
Er schlug die Augen auf, und einen Augenblick lang sahen sie sich direkt in die Augen, beinahe Nase an Nase. Ihr Haar war wirr, das Schultertuch fehlte, und ihre Wange wurde von einer rötlichen Schwellung entstellt. Sie richtete sich ruckartig auf, faltete ein feuchtes, blutgetränktes Tuch neu zusammen und begann, seine Stirn, nun um einiges energischer als zuvor abzutupfen.
»Ich habe nicht die Absicht, zu sterben«, sagte er zu ihr, obwohl er sich dessen in Wirklichkeit keineswegs so sicher war. Das Nichts und Saidin waren natürlich verschwunden. Schon der Gedanke daran, sie auf diese plötzliche Art entrissen zu bekommen, ließ ihn schaudern. Es war reines Glück gewesen, dass ihn Saidin in jenem letzten Moment nicht völlig ausgebrannt und mit leerem Verstand zurückgelassen hatte. Der bloße Gedanke daran, wieder nach der Quelle zu greifen, ließ ihn ächzen. Ohne das Nichts als Puffer spürte er jeden Schmerz, jede Schramme und Abschürfung in ihrem ganzen Ausmaß. Er war so müde, dass er augenblicklich eingeschlafen wäre, hätte ihm nicht alles so weh getan. Und das war ja wohl auch gut so, denn er durfte jetzt nicht schlafen. Noch lange Zeit nicht.
Er steckte eine Hand unter seinen Mantel und fühlte nach seiner Seite, worauf er sich vorsichtshalber erst das Blut am Hemd abwischte, bevor er die Hand wieder herauszog. Kein Wunder, dass ein Sturz wie dieser die halbverheilte, niemals heilende Wunde wieder hatte aufbrechen lassen. Er schien aber nicht zu schlimm zu bluten, doch falls die Töchter das bemerkten, oder Egwene oder auch Aviendha, musste er sich wahrscheinlich erst mit ihnen herumstreiten, damit sie ihn nicht zu Moiraine schleppten, um von ihr geheilt zu werden. Dazu hatte er jedoch viel zu viel zu tun. Die Heilung mithilfe der Macht würde sich bei ihm auswirken wie ein Knüppel auf den Kopf. Außerdem hatte sie sicher viel schlimmere Verwundungen zu heilen.
Er schnitt eine Grimasse, unterdrückte ein weiteres Ächzen und erhob sich ohne allzu viel Hilfe von Aviendha. Und prompt vergaß er seine Verletzungen.
Sulin saß in der Nähe auf dem Boden, während Egwene eine blutende Schnittwunde auf ihrer Kopfhaut verband und dabei vor sich hinfluchte, weil sie nicht mithilfe der Macht heilen konnte. Doch die weißhaarige Tochter des Speers war keineswegs das einzige Opfer und bei Weitem nicht das am schlimmsten betroffene. Überall waren in den Cadin’sor gekleidete Frauen dabei, ihre Toten mit Decken zu verhüllen und sich um diejenigen zu kümmern, die lediglich Brandwunden davongetragen hatten, falls man mit ›lediglich‹ die Verbrennungen durch einen einschlagenden Blitz bezeichnen konnte. Von Egwenes Fluchen abgesehen, lag Stille über dem Hügel. Sogar die verwundeten Frauen waren bis auf ihr heiseres Atmen still.
Der roh zusammengezimmerte Turm, jetzt nur noch ein nicht mehr erkennbarer Trümmerhaufen, hatte beim Umstürzen die Töchter nicht verschont, hatte Arme und Beine gebrochen und lange Risswunden verursacht. Er beobachtete, wie man eine Decke über das Gesicht einer Tochter mit rotgoldenem Haar von beinahe dem gleichen Farbton wie dem Elaynes breitete. Ihr Kopf lag unnatürlich abgewinkelt, und die Augen starrten glasig nach oben. Jolien. Eine jener, die zuerst auf der Suche nach dem Mann, ›Der mit Morgendämmerung kommt‹, die Drachenmauer überquert hatten. Sie war in seinem Dienst mit zum Stein von Tear gekommen. Und nun war sie tot. Für ihn gestorben. Oh, wie gut hast du es fertiggebracht, die Töchter des Speers vor allem Unbill zu bewahren, dachte er bitter. Sehr gut hast du das gemacht.
Er spürte die Blitze immer noch, oder besser gesagt, die Nachwehen ihres Gewebes. Beinahe wie das Flimmern vor seinen Augen vorher konnte er das in der Intensität nachlassende Gewebe noch wahrnehmen. Zu seiner Überraschung kam es aus dem Westen und nicht von den Zelten. Also nicht Asmodean.
»Sammael.« Nun war er sicher. Sammael hatte diesen Angriff im Jangai vorgeschickt, Sammael steckte hinter den Piraten und den Überfällen in Tear, und Sammael hatte dies hier zu verantworten. Er bleckte seine Zähne, als wolle er knurren, und seine Stimme klang wie ein heiseres Flüstern: »Sammael!« Ihm war nicht bewusst, dass er einen Schritt vorgetreten war, bis ihn Aviendha am Arm packte.
Einen Moment
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