Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Korridor vorstellen, wie er vorher war! Wie er wirklich aussieht! Das hier ist nur real, solange Ihr daran glaubt!« Sie stellte sich ganz fest das Bild des Korridors vor, bunte Fliesen in sauberen Reihen und vergoldete Lampenständer und Wandbehänge in leuchtenden Farben. Nichts änderte sich. Die Schreie hallten immer noch von den Wänden wider. »Ihr müsst an den Korridor denken! Behaltet das Bild im Kopf, dann wird es auch zur Wirklichkeit. Ihr könnt damit fertig werden, wenn Ihr euch anstrengt!« Der Trolloc blickte sie an. Mittlerweile hatte er ein Messer mit scharfer, spitzer Klinge in der Hand. »Sheriam, Anaiya, Ihr müsst Euch konzentrieren! Myrelle, Beonin, konzentriert Euch auf den Korridor!« Der Trolloc hievte sie herum, sodass sie auf der Seite lag. Sie versuchte, sich wegzuwinden, aber ein mächtiges Knie hielt sie mühelos fest, während das Ding begann, ihre Kleidung aufzuschlitzen, wie ein Jäger das erlegte Wild abhäutete. Verzweifelt bewahrte sie das Bild des Korridors im Geist. »Carlinya, Morvrin, bei der Liebe zum Licht, konzentriert Euch! Denkt an den Korridor! Den Korridor! Ihr alle! Denkt ganz fest daran!« Der Trolloc knurrte etwas in einer harten Sprache, die nicht für menschliche Kehlen geeignet war, und drehte sie mit einer kurzen Bewegung auf den Bauch zurück. Dann kniete er sich auf sie. Seine dicken Knie drückten ihr die Arme auf den Po. »Der Korridor!«, kreischte sie. Er packte mit seinen schweren Fingern ihr Haar und riss ihren Kopf hoch. »Der Korridor! Denkt an den Korridor!« Die Klinge des Trollocs berührte ihren weit vorgestreckten Hals unterhalb des linken Ohrs. »Der Korridor! Der Korridor!« Die Klinge begann zu schneiden.
Plötzlich blickte sie auf bunte Bodenfliesen unter ihrer Nase nieder. Schnell umfassten ihre Hände ihren Hals, wobei sie glücklich war, sie wieder frei bewegen zu können, und dann fühlte sie Feuchtigkeit. So hielt sie sich die Finger vors Gesicht und sah sie an. Blut, aber nur ein kleiner Schmierer. Sie schauderte. Hätte dieser Trolloc es geschafft, ihr die Kehle durchzuschneiden … Keine Heilkunst hätte ihr dann noch helfen können. Erneut schaudernd, stemmte sie sich langsam hoch. Sie befand sich wieder im Flur der Weißen Burg außerhalb des Büros der Amyrlin, und keine Spur der Trollocs oder der Höhle war mehr zu sehen.
Siuan war auch da. Sie wirkte wie eine Anhäufung von Schwellungen und Schrammen, die man in ein zerrissenes Kleid gesteckt hatte. Und da waren auch die Aes Sedai, verschwommene, zerfledderte Gestalten. Carlinya sah noch am besten aus. Sie stand zitternd und mit weit aufgerissenen Augen da und befühlte ihr dunkles Haar, das nun als struppiger Rest eine Handbreit von ihrem Kopf entfernt endete. Sheriam und Anaiya kamen ihr wie weinende Häufchen blutverschmierter Lumpen vor. Myrelle krümmte sich mit totenblassem Gesicht zusammen, nackt nur von langen roten Kratzern und Striemen bedeckt. Morvrin stöhnte bei jeder Bewegung, und sie bewegte sich auch völlig unnatürlich, als funktionierten ihre Gelenke nicht mehr richtig, Beonins Kleid schien in Fetzen gerissen worden zu sein, und sie lag schwer atmend auf den Knien, mit noch weiter aufgerissenen Augen als sonst. Wahrscheinlich stützte sie sich so an der Wand ab, weil sie sonst umgekippt wäre.
Plötzlich fiel Elayne auf, dass ihr das eigene Kleid und sogar das Unterhemd von den Schultern hing, an der Vorderseite säuberlich aufgeschnitten. Ein Jäger, der einen erlegten Hirsch abzieht. Sie zitterte so sehr, dass sie beinahe gestürzt wäre. Die Kleidung wieder zu reparieren war eine einfache Sache und erforderte nur einen Gedanken, aber sie wusste nicht, wie lange es dauern würde, ihre Erinnerungen zu reparieren.
»Wir müssen zurück«, sagte Morvrin, die schwerfällig zwischen Sheriam und Anaiya niederkniete. Trotzdem sie steif wirkte und immer wieder ächzte, klang sie so zuverlässig und beruhigend wie immer. »Hier ist Heilung mithilfe der Macht notwendig, und in diesem Zustand kann das keine von uns.«
»Ja.« Carlinya berührte wieder ihr kurzes Haar. »Ja, es ist wohl am besten, wir kehren nach Salidar zurück.« Ihre Stimme war eine entschieden unsichere Imitation ihrer sonstigen Kälte.
»Ich werde noch eine kleine Weile bleiben, falls niemand etwas dagegen hat«, sagte Siuan zu ihnen. Oder besser, sie schlug es in diesem unpassenden, demütigen Tonfall vor. Ihr Kleid war wieder ganz, aber die Striemen blieben. »Ich kann vielleicht noch ein paar
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