Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Diejenigen, die man aufgegriffen hatte, schob man, so schnell man sie zur Grenze schaffen konnte, wieder nach Tarabon ab. Letzteres berichtete er leicht verlegen und hastig, was angesichts seiner Dummheit in Bezug auf die Feuerwerker auch kein Wunder war.
Niall hörte gerade so aufmerksam zu, um an den richtigen Stellen zu nicken. Omerna war ein fähiger Offizier gewesen, solange ihm jemand sagte, was er tun solle, aber in seiner augenblicklichen Position war diese Leichtgläubigkeit denn doch eine Zumutung. Er hatte von Morgases Tod berichtet, dass ihre Leiche gefunden und zweifelsfrei identifiziert worden sei, und diese Behauptung bis zu jenem Tag beibehalten, an dem er ihn Morgase gegenübergestellt hatte. Er hatte sich über ›Gerüchte‹ lustig gemacht, der Stein von Tear sei gefallen, und selbst heute noch leugnete er ab, die stärkste Festung der Welt könne von außen her erobert worden sein. Stattdessen bestand er darauf, es habe sich um Verrat gehandelt; ein Hochlord habe den Stein an al’Thor und Tar Valon verraten. Er bestand auch darauf, die Katastrophe bei Falme und die Unruhen in Tarabon und Arad Doman seien das Werk des Heeres von Artur Falkenflügel gewesen, das über das Aryth-Meer zurückgekehrt sei. Er war davon überzeugt, dass Siuan Sanche keineswegs abgesetzt und beseitigt worden sei. Al’Thor sei wahnsinnig und liege im Sterben. Tar Valon habe König Galldrian ermorden lassen, um absichtlich in Cairhien einen Bürgerkrieg auszulösen, und alle drei ›Tatsachen‹ hätten irgendwie mit diesen lächerlichen Gerüchten zu tun, die immer dazu passend angeblich von weit entfernten Orten stammten und in denen von Leuten die Rede war, die plötzlich in Flammen stünden, oder von Albtraumwesen, die von nirgendwoher erschienen und ganze Dörfer ausrotteten. Er sei sich noch nicht sicher, wie das alles zusammenhing, aber er arbeite an einer großartigen Theorie, die jeden Tag vollendet sein könnte, und diese Theorie werde dann alle die Intrigen der Hexen entlarven und Tar Valon in Nialls Hände liefern.
So war Omerna eben: entweder erfand er verwickelte Gründe für das Geschehene, oder er griff die auf der Straße aufgeschnappten Gerüchte auf und schluckte sie voll und ganz. Er verbrachte ganze Menge Zeit damit, Gerüchten nachzuspüren, sowohl in Herrenhäusern wie auch auf der Straße. Nicht nur, dass man ihn beobachtet hatte, wie er in Tavernen mit Jägern des Horns getrunken hatte, nein, es war ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass er bereits riesige Summen verschleudert hatte, um nicht weniger als drei angebliche Hörner von Valere zu erwerben. Jedes Mal hatte er das Ding aufs Land gebracht und tagelang darauf herumgepustet, bis selbst er zugeben musste, dass keinerlei tote Helden der Legenden aus ihren Gräbern hergeritten waren. Trotzdem waren diese Fehlschläge keine Gewähr dafür, dass er nicht demnächst wieder eines in irgendeiner dunklen Gasse oder dem Hinterzimmer einer Taverne kaufen würde. Man konnte es auf einen einfachen Nenner bringen: wo der Leiter eines Agentenrings selbst sein eigenes Gesicht im Spiegel infrage stellen würde, da glaubte Omerna alles.
Schließlich war der Mann aber doch fertig, und Niall sagte: »Ich werde Eure Berichte mit der gebührenden Aufmerksamkeit studieren, Omerna. Ihr habt Eure Sache gut gemacht.« Wie der Kerl sich spreizte und seinen Waffenrock glatt strich! »Geht jetzt und schickt mir Balwer herein. Ich muss ihm einige Briefe diktieren.«
»Selbstverständlich, kommandierender Lordhauptmann. Ah.« Mitten in der Verbeugung runzelte Omerna die Stirn, fasste in die Tasche seiner weißen Unterjacke und zog eine kleine Knochenhülse heraus, die er Niall reichte. »Das ist heute Morgen im Taubenschlag angekommen.« Drei dünne, rote Streifen zogen sich der Länge nach an der Hülse entlang, ein Zeichen dafür, dass sie Niall mit unbeschädigtem Wachssiegel überbracht werden musste. Und der Mann hätte sie fast vergessen!
Omerna wartete. Zweifellos hoffte er, eine Andeutung zu erhalten, was die Hülse enthielt, doch Niall gab ihm einen Wink in Richtung der Tür. »Vergesst Balwer nicht. Falls Mattin Stepaneos daran denkt, sich mir anzuschließen, muss ich ihm schreiben und sehen, ob ich nicht mit ein klein wenig Druck zu seiner richtigen Entscheidung beitragen kann.« Omerna hatte keine andere Wahl, als sich noch einmal zu verbeugen und zu gehen.
Als sich die Tür hinter dem Mann schloss, befühlte Niall zuerst nur die Hülse. Diese
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