Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
sich in einen Löwenzahnsamen zu versetzen, der im Wind umhertrieb, in die Erde, die den Frühlingsregen in sich aufsog, und in eine Wurzel, die sich durch den Boden grub. Alles ohne Wirkung, jedenfalls ohne die Wirkung, auf die Theodrin hoffte. Sie schlug sogar vor, Nynaeve solle sich vorstellen, in den Armen eines Liebhabers zu liegen, was sich als katastrophal herausstellte, da sie wieder an Lan denken musste, und wie konnte er es wagen, auf diese Weise zu verschwinden! Doch jedes Mal, wenn die Verbitterung den Zorn auslöste wie eine heiße Kohle das Feuer im trockenen Gras und damit Saidar für sie erreichbar machte, befahl Theodrin ihr loszulassen, und dann begann sie erneut auf ihre beruhigende, kühle Art. Die sture Weise, auf die diese Frau ihrem Ziel zustrebte, machte sie verrückt. Nynaeve hatte das Gefühl, sie könne selbst Mauleseln noch lehren, störrisch zu sein. Sie zeigte niemals Unwillen und ihre ernste Würde war schon eine Kunstform für sich. Nynaeve hätte gern einen Eimer Wasser über ihren Kopf geleert, um zu sehen, wie ihr das gefiel. Allerdings musste sie dabei an den Schmerz in ihrem Kiefer denken, und dann kam ihr die Idee doch nicht mehr so gut vor.
Theodrin heilte den Kiefer mithilfe der Macht, bevor Nynaeve ging. Das war annähernd die Obergrenze der Heilerfähigkeiten der Aes Sedai. Einen Moment später half Nynaeve dann auch ihr. Theodrins Auge hatte sich leuchtend rotblau verfärbt, und eigentlich hätte sie ihr das lieber als Warnung gelassen, damit sie sich in Zukunft überlegte, was sie tat, aber nun musste sie sich wohl oder übel revanchieren. Theodrins Aufstöhnen, als die Stränge aus Geist, Luft und Wasser ihren Körper durchdrangen, war durchaus eine Genugtuung. Schließlich hatte sie ganz gewaltig nach Luft schnappen müssen, als die Domani ihr den Eimer Wasser über den Kopf geleert hatte. Natürlich durchlief auch sie ein Schauder während der Heilung, aber man konnte eben nicht alles haben.
Draußen war die Sonne bereits auf halbem Weg zum westlichen Horizont. Ein Stück weit die Straße hinunter durchlief eine Welle von Verbeugungen und Knicksen die Menge der Passanten, und dann öffnete sich das gedrängte Durcheinander, und Tarna Feir erschien. Sie glitt dahin wie eine Königin durch einen Schweinestall und hatte die rot gefranste Stola wie ein leuchtendes Banner um die Oberarme geschlungen. Selbst auf fünfzig Schritt Entfernung war ihre Haltung eindeutig zu erkennen, so, wie sie den Kopf hielt und ihren Rock hochraffte, damit er den Straßenstaub nicht berührte, und wie sie sogar jene nicht beachtete, die vor ihr knicksten, als sie vorbeischritt. Am ersten Tag waren es noch viel weniger Knickse gewesen und viel mehr feindselige Blicke, doch eine Aes Sedai war eine Aes Sedai, jedenfalls bei den Schwestern in Salidar. Um das zu unterstreichen, waren mittlerweile zwei Aufgenommene, fünf Novizinnen und beinahe ein Dutzend Diener und Dienerinnen in ihrer Freizeit bei der Arbeit, Küchenabfälle und die Inhalte von Nachttöpfen zum Wald hinauszukarren und dort zu vergraben.
Als sich Nynaeve wegschlich, um von Tarna nicht gesehen zu werden, grollte ihr Magen so laut, dass ihr ein vorbeischreitender Kerl mit einem Korb Zwiebeln auf dem Rücken einen erstaunten Blick zuwarf. Sie hatten das Frühstück versäumt, als Elayne versucht hatte, das Wachgewebe zu durchdringen, und das Mittagessen war nach Theodrins Übungen längst vorüber. Und die Frau hatte ihr heute noch nicht genug angetan. Nach Theodrins Anweisungen durfte sie nämlich heute Nacht nicht schlafen. Vielleicht würde die Erschöpfung das vollbringen, was ein plötzlicher Schreck nicht ausgelöst hatte. Jeder Block kann durchbrochen werden, hatte Theodrin mit ungebrochenem Selbstvertrauen in der Stimme verkündet, und ich werde Euren durchbrechen. Es muss nur ein einziges Mal geschehen. Nur einmal ohne Zorn mit Saidar arbeiten, und die Macht ist Euer!
Im Augenblick jedoch wollte Nynaeve nur eines, nämlich etwas zum Essen. Die Küchenmägde waren bereits beim Aufräumen und beinahe fertig, doch der Duft nach Hammeleintopf und Schweinebraten, der noch in den Küchenräumen hing, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie musste sich allerdings mit zwei armseligen Äpfeln, einem Brocken Ziegenkäse und einem harten Stück Brot zufriedengeben. Der Tag wurde auch nicht besser.
In ihr Zimmer zurückgekehrt, fand sie Elayne vor, die der Länge nach ausgestreckt auf ihrem Bett lag. Die jüngere Frau
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