Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
lediglich ein Teil ihres Traums. Innerhalb eines fremden Traums an sich selbst festzuhalten, war schon schwierig genug, wenn die träumende Person ein ganz gewöhnlicher Mensch war, der keine Ahnung davon hatte, was vorging. Es war aber auch nicht schwieriger, als aus dem Traum zu entkommen, bevor diese Person aufhörte, von ihr zu träumen, was unwahrscheinlich war. Meist wachte derjenige auf, wenn sie sich noch mitten in seinem oder ihrem Traum befand. Bei einer Traumgängerin, die genauso bewusst träumte, wie sie sich in der wachenden Welt bewegte, war das unmöglich. Und das wäre in diesem Fall noch der angenehmste Teil an der Sache.
Langsam dämmerte es ihr, dass sie sich töricht benahm. Wegrennen nützte überhaupt nichts. Falls Amys oder Melaine sie entdeckt hatten, würde sie sich bereits woanders befinden. Außerdem konnte es sein, dass sie sich geradewegs auf die beiden zubewegte. Das Vorbeihuschen der Lichter verlangsamte sich nicht allmählich, nein, es hörte vollständig auf und sie stand still. So war das nun einmal hier.
Beunruhigt überlegte sie, was sie als Nächstes unternehmen sollte. Abgesehen davon, dass sie auf eigene Faust alles über Tel’aran’rhiod lernen wollte, was sie nur bewältigen konnte, war der wichtigste Zweck ihres Aufenthalts, ein wenig über die Geschehnisse der wachenden Welt herauszufinden. Es gab Zeiten, da es ihr schien, die Weisen Frauen würden ihr nicht einmal mitteilen, ob die Sonne am Himmel stand. Sie musste alles selbst herausbekommen. Sie meinten immer, sie solle sich nicht aufregen. Doch wie konnte sie das vermeiden, wenn sie ständig darüber nachgrübelte, was sie alles nicht wusste? Das hatte sie zumindest in der Weißen Burg vorgehabt: ein paar Andeutungen aufschnappen, was Elaida beabsichtigte. Und Alviarin. Andeutungen waren noch das Einzige, was sie hatte aufspüren können, und auch davon gab es nur wenige. Sie hasste Ungewissheit; nichts zu wissen war, als sei man blind und taub zugleich.
Nun ja, die Burg durfte sie jetzt auch von ihrer Liste streichen, da sie nicht mehr sicher sein konnte, in welchen Teilen sie unentdeckt bleiben werde. Den Rest von Tar Valon hatte sie bereits gestrichen, und zwar nach dem vierten Zusammentreffen mit einer Frau mit kupferfarbenem Teint. Sie war beinahe über die andere gestolpert, die zufrieden nickend vor einem Stall stand, der frisch in Blau gestrichen worden zu sein schien. Wer sie auch sein mochte, durch Zufall und einen kurzen Traum war sie jedenfalls nicht nach Tel’aran’rhiod geraten. Sie verschwand nicht wie ein flüchtiger Träumer, und sie schien aus feinem Dunst zu bestehen. Offensichtlich benützte sie ein Ter’angreal , und das bedeutete, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Aes Sedai war. Egwene kannte nur ein einziges Ter’angreal , mit dessen Hilfe man die Welt der Träume betreten konnte, ohne die Macht zu benützen, und das war in Nynaeves und Elaynes Besitz. Die gertenschlanke Frau konnte allerdings noch nicht lange zu den Aes Sedai gehören. Sie war sehr schön, trug ein aufreizend durchscheinendes Kleid und schien etwa gleich alt wie Nynaeve zu sein. Die typische Alterslosigkeit zeigte sich bei ihr noch nicht.
Egwene hätte versuchen können, sie zu verfolgen, da sie möglicherweise zu den Schwarzen Ajah gehörte, denn die hatten Ter’angreale zum Träumen gestohlen. Aber wenn sie das Risiko recht bedachte, entdeckt, vielleicht sogar gefangen zu werden, obwohl sie nicht einmal irgendjemandem mitteilen konnte, was sie herausgefunden hatte, jedenfalls nicht vor ihrem nächsten offiziellen Gespräch mit Nynaeve und Elayne … oder falls sie etwas derart Schlimmes entdeckte, dass jede es erfahren musste … Schließlich gingen die Schwarzen Ajah in erster Linie die Aes Sedai etwas an, ganz abgesehen davon, dass es noch weitere Gründe gab, ihre Geheimnisse zu wahren. Sie hatte gar keine andere Wahl.
Geistesabwesend betrachtete sie die nächstgelegenen Lichtpunkte in der Schwärze. Sie erkannte keinen davon. Sie schwebten völlig unbeweglich, in der Dunkelheit schimmernde Sterne, die in klarem, schwarzem Eis eingefroren waren.
In letzter Zeit trieben sich für ihren Geschmack zu viele Fremde in der Welt der Träume herum. Eigentlich nur zwei, aber das waren eben zwei zu viel. Die Frau mit dem kupferfarbenen Teint und eine weitere, eine stämmige, hübsche Frau, die zielbewusst einherschritt, mit blauen Augen und Entschlossenheit in den Zügen. Die entschlossene Frau – so nannte
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