Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Egwene sie – musste wohl in der Lage sein, Tel’aran’rhiod aus eigener Kraft zu betreten, denn sie schien aus fester Materie zu bestehen und nicht wie aus Dunst geschnitten, und wer sie auch sein mochte, welcher Grund sie auch hierherführen mochte, sie befand sich öfter in der Burg als Nynaeve und Elayne und Sheriam und der ganze Rest zusammengenommen. Überall tauchte sie auf. Außer in der Burg hatte sie Egwene beinahe bei ihrem letzten Abstecher nach Tear erwischt. Natürlich nicht in einer Nacht, für die ein Treffen angesetzt war. Die Frau war durch das Herz des Steins stolziert und hatte zornige Selbstgespräche geführt. Und sie hatte sich bei Egwenes letzten beiden Abstechern ebenfalls in Caemlyn befunden.
Dass diese Frau den Schwarzen Ajah angehörte, war ebenso gut möglich wie bei der anderen, aber sie konnten natürlich auch aus Salidar kommen. Eine, oder auch beide. Egwene hatte sie allerdings noch nie zusammen gesehen oder in Gesellschaft einer anderen aus Salidar. Theoretisch konnten beide auch aus der Burg selbst kommen. Die Spaltung dort war so verworren, dass sehr wohl die eine Seite die andere ausspionieren würde. Früher oder später würden die Aes Sedai der Burg ohnehin von Tel’aran’rhiod erfahren, falls das nicht sowieso schon der Fall gewesen war. Diese beiden Fremden brachten nur endlose Fragen, die unbeantwortet blieben. Egwene blieb nur eines übrig, nämlich, beide zu meiden.
Natürlich bemühte sie sich in letzter Zeit, alle zu meiden, die sich in der Welt der Träume aufhielten. Sie hatte sich angewöhnt, sich häufig umzublicken, weil sie glaubte, jemand schleiche sich hinter ihr an, oder auch Dinge zu sehen, die gar nicht da waren. Sie glaubte, aus den Augenwinkeln Blicke auf Rand, Perrin und sogar Lan erhascht zu haben. Selbstverständlich bildete sie sich das nur ein, oder sie hatte durch puren Zufall ihre Träume einen Augenblick lang berührt, aber sie fühlte sich dadurch so nervös wie eine Katze im Hundezwinger.
Sie runzelte die Stirn – oder besser: sie hätte das getan, hätte sie ein Gesicht besessen. Eines dieser Lichter sah aus wie … Es kam ihr eigentlich gar nicht bekannt vor; sie erkannte es wirklich nicht. Aber es schien … sie anzulocken. Wohin sie auch blickte, nach ein paar Momenten kehrte ihr Blick zu jenem glitzernden Punkt zurück.
Vielleicht sollte sie erneut versuchen, Salidar zu finden. Das hätte aber bedeutet, dass sie darauf warten musste, bis Nynaeve und Elayne Tel’aran’rhiod verlassen hatten. Deren Träume erkannte sie natürlich sofort – sie konnte sie im Schlaf finden, wie sie unter lautlosem Kichern feststellte. Doch ein Dutzend Versuche, Salidar zu finden, hatte bisher genau die gleichen Resultate erbracht wie ihr Bemühen, das Wachgewebe um Rands Träume zu durchdringen. Entfernungen und Position hier hatten absolut nichts mit denen der wachenden Welt zu tun. Amys behauptete sogar, hier gebe es weder Entfernung noch Position. Andererseits konnte sie genauso gut …
Überraschenderweise begann mit einem Mal der Lichtpunkt, der ihren Blick immer wieder anzog, auf sie zuzutreiben. Er schwoll an, und was zuerst ein ferner Stern gewesen war, wurde nun zu einem weißen Vollmond. Ein Funken der Angst keimte in ihr auf. Einen Traum zu berühren und hineinzuspähen war einfach – wie ein Finger das Wasser so leicht berührt, dass das Wasser am Finger haftet aber die Oberfläche nicht bewegt wird –, doch das alles richtete sich nach ihrem freien Willen. Eine Traumgängerin suchte sich den Traum aus, nicht umgekehrt. Sie befahl in Gedanken dem Traum, sich wegzubegeben, stellte sich die sternenübersäte Schwärze wieder in Bewegung vor. Doch nur dieses eine Licht rührte sich und dehnte sich so aus, dass ihr gesamtes Gesichtsfeld von weißem Licht erfüllt wurde. Verzweifelt versuchte sie, sich loszureißen. Weißes Licht. Nichts als weißes Licht, das sie in sich aufnahm …
Sie blinzelte und sah sich erstaunt um. Ein ganzer Wald mächtiger weißer Säulen erstreckte sich um sie. Die meisten erschienen ihr verschwommen, undeutlich, besonders die am weitesten entfernten, aber eines konnte sie ganz deutlich erkennen: Gawyn, der über den weiß gefliesten Fußboden auf sie zuschritt. Er trug einen einfachen grünen Rock, und auf seiner Miene mischten sich Angst und Erleichterung. Jedenfalls war es annähernd Gawyns Gesicht. Gawyn sah vielleicht nicht so blendend aus wie sein Halbbruder Galad, doch er war trotzdem ein sehr gut
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