Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
erhascht, die einfach nicht existieren konnten, nicht einmal im Traum. Keine Albträume – die schienen immer in ein Rot oder Blau oder ein schummriges Grau wie in tiefe Schatten getaucht –, jedoch erfüllt von unmöglichen Dingen. Es war besser, ihnen aus dem Weg zu gehen, denn ganz eindeutig passte sie nicht in diese Welten. Wenn sie in einen solchen Traum hineinspähte, war es, als sei sie plötzlich von Spiegelscherben umgeben, die um sie herumwirbelten, sodass es weder ein oben noch unten gab. Dann verspürte sie den Wunsch, sich zu übergeben, und wenn sie hier auch keinen Magen besaß, wartete doch einer auf sie, sobald sie in ihren Körper zurückkehrte. Doch sich zu übergeben war nicht gerade erstrebenswert, um aufzuwachen.
Sie hatte auf diese Weise ganz allein einiges gelernt und dem hinzugefügt, was die Weisen Frauen sie gelehrt hatten, ja, sie war sogar Wege gegangen, die jene vor ihr versperrt hätten. Und doch … Sie bezweifelte nicht, dass sie mehr, viel mehr in Erfahrung gebracht hätte, wenn ihr eine Traumgängerin zur Seite stünde. Sicher, sie hätte ihr gesagt, dies sei noch zu gefährlich und jenes ganz verboten, aber ihr auch vorgeschlagen, was sie ebenfalls ausprobieren könne. Die einfachen Dinge, die leicht herauszufinden waren – nun gut, nicht ganz so leicht, das waren sie nie –, hatte sie längst hinter sich gelassen und einen Punkt erreicht, von dem aus sie den nächsten Schritt auch allein tun konnte, aber es waren Schritte, die von den Traumgängerinnen unter den Weisen Frauen schon vor langer Zeit unternommen worden waren. Wofür sie einen Monat brauchte, um es aus eigener Kraft zu beherrschen, könnten sie ihr in einer Nacht, ja, in einer Stunde beibringen. Wenn sie entschieden, dass sie dafür bereit sei. Vorher nicht. Das wurmte sie, denn alles, was sie wollte, war ja, zu lernen! Alles zu lernen. Jetzt gleich. Augenblicklich.
Ein Lichtpünktchen sah genauso aus wie jedes andere, und doch hatte sie gelernt, eine Handvoll davon zu identifizieren. Dabei wusste sie nicht einmal genau, wie ihr das möglich war, und das war etwas, was ihr ungeheuer gegen den Strich ging. Selbst die Weisen Frauen hatten davon keine Ahnung. Und dennoch, sobald sie herausfand, welcher Traum zu welcher Person gehörte, konnte sie deren Träume künftig so sicher aufspüren wie ein Pfeil das Ziel, und wenn sie sich auch auf die andere Seite der Welt begaben. Dieses Licht dort war Berelain, die Erste von Mayene, die Frau, der Rand die Führung in Cairhien anvertraut hatte. Egwene fühlte sich nicht sehr wohl, wenn sie in Berelains Träumen herumspionierte. Für gewöhnlich unterschieden sie sich nicht von denen irgendeiner anderen Frau, oder zumindest einer Frau, die gleichermaßen an Macht, Politik und der neuesten Mode interessiert war, aber gelegentlich träumte Berelain von Männern, sogar von Männern, die Egwene kannte, und zwar auf eine Weise, dass Egwene sogar bei der bloßen Erinnerung daran errötete.
Und dieses leicht gedämpfte Glühen dort stand für Rand, der seine Träume hinter einem Wachgewebe aus Saidin verbarg. Sie wollte schon verharren, denn es ärgerte sie, dass etwas, das sie weder sehen noch fühlen konnte, sie dennoch wie eine Steinmauer zurückhielt, ließ es dann aber sein. Eine weitere nutzlos vertane Nacht wirkte nicht gerade verlockend auf sie.
Dieser Ort verzerrte die Entfernungen, wie Tel’aran’rhiod die Zeit verzerrte. Rand schlief in Caemlyn, falls er nicht in kürzester Zeit nach Tear gereist war. Wie er das anstellte, hätte sie auch nur zu gern gewusst, aber ein wenig von seinem Traum entfernt entdeckte Egwene ein anderes Licht, das sie erkannte. Bair, in Cairhien, Hunderte von Wegstunden von Rand entfernt. Wo sich Rand auch aufhalten mochte, sie wusste jedenfalls, dass er sich heute Nacht nicht in Cairhien befand. Wie brachte er das nur fertig?
Das Lichtermeer huschte an ihr vorbei, als Egwene sich hastig vom Traum der Weisen Frau entfernte. Hätte sie auch Amys und Melaine gesehen, wäre sie nicht geflohen, doch wenn die beiden anderen Traumgängerinnen nicht schliefen und träumten, konnte es sein, dass auch sie gerade in Träumen wandelten. Eine von ihnen mochte sich sogar bei ihr selbst befinden, bereit, sich hineinzustürzen und sie aus ihrem Traum zu reißen, oder sie in den eigenen Traum mit hineinzuziehen. Sie bezweifelte, dass sie die anderen daran hindern konnte. Noch nicht jedenfalls. Sie wäre den anderen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert,
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