Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Licht erleuchte uns alle.«
Das Gemurmel erhob sich wieder, und langsam begann sich die Menge zu rühren, während Romanda herabkletterte. Siuans Gesicht hätte auch aus Stein gehauen sein können; ihre Lippen waren so sehr aufeinandergepresst, dass sie ganz blutleer erschienen. Elayne hätte gern Fragen gestellt, aber Nynaeve hüpfte von der Veranda herunter und drängte sich durch die Menge auf das dreistöckige Steingebäude zu. Elayne ging ihr schnell hinterher. Letzte Nacht war Nynaeve bereit gewesen sorglos fortzuwerfen, was sie erfahren hatten. Es musste jedoch wohlüberlegt angebracht werden, falls es den Saal beeinflussen sollte. Und dies schien wahrhaftig notwendig zu sein. Romandas Proklamation war lediglich heiße Luft gewesen und hatte gar nichts besagt. Aber Siuan regte sich offensichtlich darüber auf.
Elayne drückte sich zwischen zwei grobschlächtigen Kerlen hindurch, die Nynaeve böse hinterherschauten – sie war ihnen tatsächlich auf die Zehen getreten, um vorbeizukommen –, und sah sich dann noch einmal um. Siuan beobachtete sie und Elayne aufmerksam. Allerdings nur einen Moment lang, denn sobald die Frau bemerkte, dass Elayne sie ertappt hatte, gab sie vor, nach irgendjemand in der Menge zu suchen. Sie hüpfte von der Veranda und tat so, als wolle sie zu dem Gesuchten hinübergehen. Mit gerunzelter Stirn eilte Elayne weiter. War Siuan nun aufgebracht oder nicht? Wie viel an ihrem Ärger und ihrer Unwissenheit war nur vorgetäuscht? Nynaeves Einfall, nach Caemlyn wegzurennen, war mehr als nur töricht, und Elayne war nicht sicher, ob sie diesen Plan mittlerweile aufgegeben habe. Und sie selbst freute sich auf Ebou Dar, weil sie dort endlich etwas wirklich Nützliches vollbringen konnte. All diese Geheimniskrämerei und das Misstrauen waren ihr zuwider, aber sie konnte auch nichts daran ändern. Wenn nur Nynaeve nicht immer wieder in jedes Schlamassel hineintappen würde!
Sie holte Nynaeve in dem Augenblick ein, als diese Sheriam in der Nähe des Karrens abfing, von dem aus Romanda gesprochen hatte. Auch Morvrin und Carlinya waren dabei, und alle drei hatten sich die Stolen umgelegt; sämtliche Aes Sedai trugen heute Morgen ihre jeweilige Stola. Carlinyas kurz geschnittenes Haar wie eine Kappe aus dunklen Locken war das einzige Merkmal ihrer Beinahekatastrophe in Tel’aran’rhiod .
»Wir müssen allein mit Euch sprechen«, sagte Nynaeve zu Sheriam. »Unter vier Augen.«
Elayne seufzte. Das war kein guter Beginn, wenn auch nicht der schlechteste.
Sheriam musterte die beiden einen Augenblick lang und warf Morvrin und Carlinya einen kurzen Blick zu. »Also gut. Kommt herein.«
Als sie sich zur Tür wandten, stand Romanda noch davor, eine kräftige, gut aussehende Frau mit dunklen Augen und einer Stola mit gelben Fransen, die über und über mit Blumen und Ranken bestickt war, bis auf die Flamme von Tar Valon zwischen ihren Schultern. Sie beachtete Nynaeve nicht, schenkte aber Elayne ein warmes Lächeln von der Art, die diese von den Aes Sedai gewohnt war und vor der es sie schon langsam graute. Sheriam, Carlinya und Morvrin gegenüber zeigte sie jedoch eine andere Miene. Sie blickte sie ausdruckslos an, den Kopf hoch erhoben, bis sie einen leichten Knicks vollführten und murmelten: »Mit Eurer Erlaubnis, Schwester.« Erst dann trat sie zur Seite und gab den Weg zur Tür frei, wobei sie vernehmlich schnaubte.
Die gewöhnlichen Leute auf der Straße bemerkten nichts von alledem, doch Elayne hatte unter den Aes Sedai einige Gesprächsfetzen aufgeschnappt, die sich mit Sheriam und ihrer kleinen Ratsversammlung befassten. Manche glaubten, diese Gruppe sorgte lediglich für die alltäglichen Verwaltungsarbeiten in Salidar, damit der Saal sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen konnte. Einigen war klar, dass sie den Saal durchaus in seinen Entscheidungen beeinflussten, aber wieweit dieser Einfluss ging, hing von der Meinung derjenigen ab, die gerade das Wort führten. Romanda gehörte zu denen, die der Meinung waren, Sheriams Gruppe habe entschieden zu viel Einfluss, und was noch schlimmer war, sie hatte zwei Blaue, aber keine Gelbe in ihrem Rat. Elayne spürte ihre Blicke, als sie den anderen durch die Tür ins Innere folgte. Sheriam führte sie in eines der Privatzimmer hinter dem ehemaligen Schenkraum. Die Wandtäfelung war wurmstichig, und auf dem Tisch an der einen Wand lag ein wildes Durcheinander von Papieren. Sie zog die Augenbrauen hoch, als Nynaeve sie bat, sie gegen Lauscher zu
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