Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Traumgestalt war, nicht bevor sie es nicht gewohnt waren, sich auf diese Weise zu verständigen, was für Nynaeve und Elayne sicherlich nicht galt. Sie hatte erst einmal zuvor auf diese Weise zu ihnen gesprochen. Auf jeden Fall fühlte sie sich bei dem Gedanken, sich ihnen überhaupt zu nähern, ein wenig unbehaglich. Sie hatte beinahe einen weiteren unklaren Albtraum deswegen gehabt. Jedes Mal, wenn eine von ihnen etwas sagte, stolperten sie und fielen auf ihre Gesichter oder ließen einen Becher oder einen Teller fallen oder rissen eine Vase herunter, immer etwas, was durch den Aufprall zerschmetterte. Seit sie den Traum über Gawyn dahingehend richtig gedeutet hatte, dass er ihr Behüter sein würde, hatte sie sich bemüht, alle Träume zu deuten. Bisher ohne wirklichen Erfolg, aber sie war sicher, dass sie bedeutsam waren. Vielleicht sollte sie besser bis zum nächsten Treffen warten, um mit ihnen zu sprechen. Außerdem bestand immer die Möglichkeit, wieder in Gawyns Träume hineingezogen zu werden. Allein der Gedanke daran ließ sie erröten.
»Der Car’a’carn ist zurückgekehrt«, sagte Estair. »Er wird Eure Schwestern heute Nachmittag treffen.«
Nachdem alle Gedanken an Gawyn und die Träume gewichen waren, blickte Egwene stirnrunzelnd in ihren Teebecher. Zweimal innerhalb von zehn Tagen. Es war ungewöhnlich für ihn, so bald zurückzukehren. Warum hatte er es getan? Hatte er irgendwie von den Aes Sedai der Burg erfahren? Wie? Und wie immer warfen auch seine Reisen Fragen auf. Wie machte er es?
»Wie macht er was?«, fragte Estair, und Egwene blinzelte, überrascht darüber, ihren Gedanken laut ausgesprochen zu haben.
»Wie schafft er es, meinen Magen so leicht in Unruhe zu versetzen?«
Surandha schüttelte mitfühlend den Kopf, aber sie musste auch grinsen. »Er ist ein Mann, Egwene.«
»Er ist der Car’a’carn «, sagte Estair nachdrücklich und sehr ehrerbietig. Egwene wäre überhaupt nicht überrascht gewesen, sie diesen albernen Stoffstreifen um ihren Kopf winden zu sehen.
Surandha gab Estair zu bedenken, wie sie jemals mit einem Festenhäuptling oder sogar einem Septen- oder Clanhäuptling zurechtkommen wollte, wenn sie nicht erkannte, dass ein Mann nicht aufhörte, ein Mann zu sein, nur weil er ein Anführer war, während Estair eigensinnig darauf beharrte, dass der Car’a’carn anders sei. Eine der älteren Frauen, Mera, die gekommen war, um ihre Tochter zu besuchen, beugte sich zu ihnen und sagte, dass man mit jedem Häuptling – egal ob Septen- oder Clanhäuptling oder dem Car’a’carn – so umgehen musste wie mit einem Ehemann, was Baerin zum Lachen brachte, die ebenfalls hier war, um eine Tochter zu besuchen. Sie bemerkte daraufhin, dass dies eine gute Möglichkeit wäre, eine Dachherrin dazu zu bringen, den Fehdehandschuh zu werfen. Baerin war vor ihrer Heirat eine Tochter des Speers gewesen, aber jedermann konnte jedem anderen außer einer Weisen Frau und einem Hufschmied den Krieg erklären. Bevor Mera noch zu Ende gesprochen hatte, stimmten ihr alle außer dem Gai’shain zu und überstimmten damit die arme Estair – der Car’a’carn war ein Häuptling unter Häuptlingen und nicht mehr; so viel war sicher. Man war sich aber auch uneins, ob es besser sei, sich einem Häuptling direkt oder durch seine Dachherrin zu nähern.
Egwene hörte kaum zu. Rand würde sicher nichts Törichtes tun. Er hatte in Bezug auf Elaidas Brief starke Zweifel gehegt, doch glaubte er Alviarins Brief, der nicht nur herzlicher, sondern regelrecht schmeichlerisch war. Er glaubte, in der Burg Freunde und sogar Gefolgsleute zu haben. Sie glaubte das nicht. Drei Schwüre oder nicht – sie war davon überzeugt, dass sich Elaida und Alviarin diesen zweiten Brief mit dem ganzen lächerlichen Gerede von ›in seinem strahlenden Glanz knien‹ zusammen ausgedacht hatten. Das war eine List, um ihn in die Burg zu bekommen.
Egwene betrachtete kummervoll ihre Hände, seufzte und stellte ihren Becher ab. Er wurde von dem Gai’shain aufgehoben, bevor sie ihre Hand ganz fortgenommen hatte.
»Ich muss gehen«, sagte sie zu den beiden Lehrlingen. »Mir ist eingefallen, dass mir noch etwas zu tun bleibt.« Surandha und Estair machten viel Aufhebens darum, dass sie mit ihr gehen wollten – nun, mehr als Aufhebens; wenn Aiel etwas bekundeten, dann meinten sie es auch –, aber sie wurden durch ihr Gespräch aufgehalten und widersprachen daher nicht, als Egwene darauf bestand, dass sie bleiben sollten. Sie
Weitere Kostenlose Bücher