Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
war das andere. Aber es gab nur einen Weg, sich dessen wirklich zu versichern.
Sie schlang sich die Satteltaschen über die Schultern, nahm das Bündel unter den Arm, trat durch das Gewebe hindurch und ließ Saidar fahren.
Sie war in Tel’aran’rhiod . Sie konnte es allein schon daran erkennen, dass die angezündeten Lampen nicht mehr brannten und doch eine Art Licht vorhanden war. Die Dinge bewegten sich zwischen zwei Blicken leicht, das Waschbecken, eine Kiste. Sie war leibhaftig in Tel’aran’rhiod . Es fühlte sich nicht anders an, als wenn sie es im Traum betrat.
Sie trat geduckt hinaus. Ein Dreiviertelmond schien auf die Zelte herab, zwischen denen kein Feuer brannte und sich niemand bewegte, auf ein Cairhien, das seltsam entrückt und schattenumwölkt wirkte. Jetzt musste sie nur noch einen Weg finden, tatsächlich nach Salidar zu gelangen. Sie hatte darüber nachgedacht. Es hing zum großen Teil davon ab, ob sie leibhaftig genauso viel Kontrolle besaß wie in der Welt der Träume.
Sie konzentrierte sich auf das, was sie vorfinden würde, trat um das Zelt herum – und lächelte. Dort stand Bela, die kleine, struppige Stute, auf der sie vor einer Lebenszeit von den Zwei Flüssen fortgeritten war. Nur eine Traum-Bela, aber die stämmige Stute stupste sie mit der Nase an und wieherte bei ihrem Anblick.
Egwene ließ ihr Gepäck fallen und schlang die Arme um den Hals des Pferdes. »Ich freue mich auch, dich wiederzusehen«, flüsterte sie. Das dunkle, klare Auge, das sie ansah, gehörte tatsächlich Bela, ob sie nun lediglich ein Spiegelbild war oder nicht.
Bela trug auch den Sattel mit dem hohen Hinterzwiesel, den sie sich vorgestellt hatte. Er war für einen langen Ritt bequem, wenn auch nicht weich. Egwene betrachtete ihn zweifelnd und fragte sich, wie er gepolstert aussehen würde. Und dann hatte sie eine Idee. Man konnte in Tel’aran’rhiod alles verändern, wenn man wusste wie – sogar sich selbst. Wenn sie, solange sie leibhaftig hier war, genügend Kontrolle besaß, um Bela … Sie konzentrierte sich auf sich selbst.
Dann befestigte sie lächelnd die Satteltaschen und das Bündel hinter dem Sattel, stieg auf und machte es sich bequem. »Es hat nichts mit Betrügen zu tun«, belehrte sie die Stute. »Sie würden nicht von mir erwarten, dass ich den ganzen Weg nach Salidar reite.« Nun, wenn sie darüber nachdachte, erwarteten sie es vielleicht doch. Aber selbst wenn, und egal ob sie Aielmut besaß oder nicht – es gab Grenzen. Sie wandte Bela um und trat ihr sanft in die Flanken. »Ich muss so schnell wie möglich vorankommen, sodass du wie der Wind laufen musst.«
Bevor sie Zeit hatte, über die Vorstellung der stämmigen Bela, die wie der Wind lief, zu kichern, tat die Stute es bereits. Die Landschaft verschwamm und schoss vorbei. Einen Moment klammerte sich Egwene an den Sattelknauf, und ihr Mund stand offen. Es war, als würde jeder Schritt Belas sie Meilen voranbringen. Beim ersten Schritt hatte sie einen Moment Zeit und blickte sich um; sie befanden sich an einem Ufer unterhalb der Stadt, wo Schiffe zwischen Streifen Mondlicht auf das dunkle Wasser hinausfuhren, und gerade als sie die Zügel anziehen wollte, um Bela daran zu hindern, überstürzt in den Fluss zu laufen, brachte sie ein weiterer Schritt in die dickichtbewachsenen Hügel.
Egwene warf den Kopf zurück und lachte. Das war phantastisch! Bis auf das Verschwimmen der Landschaft merkte sie die Geschwindigkeit kaum. Ihr Haar konnte im Luftstrom kaum zurückflattern, bevor er auch schon vorüber war, nur um einen Moment später zurückzukehren. Belas Gangart fühlte sich genauso an, wie sie es in Erinnerung hatte, und das plötzliche Vorüberziehen von allem um sie herum war anregend. In einem Moment eine Dorfstraße, nachtschwarz und still, im nächsten eine Landstraße, die sich durch Hügel wand, und wiederum im nächsten Moment eine Wiese mit Heu, das Egwene fast bis zu den Schultern reichte. Egwene hielt nur hin und wieder inne, um sich zu orientieren – was mit dieser großartigen Landkarte in ihrem Kopf, welche die Frau mit Siuans Namen gestaltet hatte, überhaupt nicht schwierig war –, und ließ Bela ansonsten freien Lauf. Dörfer und Städte tauchten auf und verschwanden im Handumdrehen wieder – in einer Stadt glaubte sie Caemlyn zu erkennen, dessen Mauern in der Nacht silbrig-weiß wirkten –, und einmal ragten in den bewaldeten Hügeln Kopf und Schultern einer großen Statue aus der Erde, ein Überbleibsel
Weitere Kostenlose Bücher