Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
Männer, die die Macht lenken wollten. Bei jedem anderen wäre es verständlich, aber auch er konnte die Macht lenken, und sie war bereit, ihm das Haar zu zausen, ihn in die Rippen zu knuffen und ihn offen mit allen möglichen Bezeichnungen zu belegen. »Möchtest du auf dem Weg zurück zur Rosenkrone eine Eskorte haben? Hier treiben wahrhaftig sogar bei Tage Straßenräuber ihr Unwesen. Nicht viele, aber ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.«
Sie lachte ein wenig unsicher. Die Geschichte mit dem Gut regte sie wirklich auf. »Ich habe schon selbst auf mich aufgepasst, als du noch Schafe gehütet hast, Bauernjunge.« Plötzlich hatte sie in jeder Hand ein Messer. Ein Aufblitzen, und sie wurden wieder in die Ärmel geschoben, wenn auch nicht ganz so glatt, wie sie herausgelangt waren. Sie sagte, jetzt in weitaus nüchternerem Tonfall: »Du musst auf dich aufpassen, Rand. Ruh dich aus. Du siehst müde aus.« Sie stellte sich überraschenderweise auf die Zehenspitzen, reckte den Kopf und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. »Es hat gutgetan, dich zu sehen, Schafhirte.« Und mit einem weiteren, dieses Mal frohen Lachen verließ sie den Raum.
Rand zog, vor sich hin murmelnd, seinen Mantel wieder an und ging ins Schlafzimmer, um sein Schwert aus dem Schrank zu holen, ein dunkler, mit geschnitzten Rosen verzierter Schrank, der ausreichend hoch und breit war, um die Kleidung von vier Männern aufzunehmen. Er entwickelte sich wirklich zu einem eitlen Pfau. Min hatte ihren Spaß daran. Er fragte sich, wie lange sie ihn nur wegen eines Versprechers noch aufziehen wollte.
Ein angemessen großer Stoffbeutel, der klimperte, als er ihn aus einer Kommode mit Lapislazuli-Einlegearbeiten unter seinen Socken hervornahm, wanderte in die Tasche seines Mantels, und ein viel kleinerer Samtbeutel wanderte auf sein Angreal hinterher. Der Silberschmied, der den Inhalt des größeren Beutels gestaltet hatte, war überaus glücklich gewesen, für den Wiedergeborenen Drachen arbeiten zu dürfen, und wollte aus Ehrgründen jegliche Bezahlung ablehnen. Der Goldschmied, der das Einzelstück in dem anderen Beutel angefertigt hatte, hatte vier Mal nachgefragt, welchen Wert Bashere der Arbeit zumaß, und zwei Töchter des Speers hatten bei ihm gewartet, bis es geklärt war.
Rand hatte bereits seit einiger Zeit erwogen, diese Reise zum Gut zu unternehmen. Er mochte Taim nicht, und Lews Therin würde sich wegen ihm wieder aufregen, aber er konnte den Ort nicht ständig meiden. Besonders jetzt nicht. Soweit er wusste, hatte Taim seine Aufgabe, die Schüler aus der Stadt fernzuhalten, gut erfüllt – zumindest hatte Rand nichts von Zwischenfällen gehört –, aber die Neuigkeiten von Merana und der Abordnung würden vielleicht bis zum Gut durchdringen, und so wie sich Gerüchte verbreiteten, würden aus den neun Aes Sedai neun Rote Schwestern oder neunzig Jäger werden, die besänftigt werden müssten. Einerlei, ob das Ergebnis wäre, dass Schüler bei Nacht davonliefen oder Schüler nach Caemlyn kamen, um den ersten Schlag zu führen – er musste es rechtzeitig verhindern.
Es gab in Caemlyn schon jetzt zu viele Gerüchte, ein weiterer Grund, warum er fortzugehen plante. Alanna und Verin und die Zwei-Flüsse-Mädchen befanden sich dem Gerede auf den Straßen zufolge schon halbwegs in der Burg, und auch viele andere Geschichten über Aes Sedai schlichen sich in die Stadt, schlichen bei Nacht durch die Tore. Eine Geschichte einer Aes Sedai, die streunende Katzen heilte, war so weit verbreitet, dass er sie schon fast selbst glaubte, aber alle Bemühungen Basheres, den Ursprung der Geschichte herauszubekommen, förderte genauso viel Wahres zutage wie die Geschichte, dass zwei Frauen, die den Wiedergeborenen Drachen überallhin begleiteten, in Wahrheit verkleidete Aes Sedai seien.
Rand wandte sich unbewusst um und schaute auf den Fries weißer Löwen- und Rosenreliefs an der Wand, blickte durch ihn hindurch. Alanna war nicht mehr in Culains Jagdhund. Sie war gereizt. Wäre sie keine Aes Sedai gewesen, hätte er gesagt, ihre Nerven seien zum Zerreißen gespannt. In der letzten Nacht war er einmal aufgewacht und sicher gewesen, dass sie weinte. Das Gefühl war sehr stark gewesen. Manchmal merkte er, dass er ihre Anwesenheit fast vergaß – bis etwas geschah, wie zum Beispiel, dass sie ihn weckte. Er vermutete, dass man sich wirklich an alles gewöhnen konnte. Heute Morgen war Alanna auch … eifrig gewesen. Eifrig schien die beste
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