Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
in Emondsfelde zurückgeblieben waren, hatte sie sich angewöhnt, mit jedem Namensgebungstag zu prahlen, den sie beanspruchen konnte. »Ich bin sechsundzwanzig und eine Aes Sedai der Gelben Ajah.« Sie erschauerte bei diesen Worten noch immer vor Stolz. »Elayne mag vielleicht erst achtzehn sein, aber sie ist ebenfalls eine Aes Sedai, eine Aes Sedai der Grünen Ajah. Glaubt Ihr, dass Merilille oder Vandene uns diese Ringe nur zum Vergnügen tragen ließen? Viele Dinge haben sich geändert, Tylin. Der Amyrlin-Sitz, Egwene al’Vere, ist nicht älter als Elayne.«
»Tatsächlich?«, fragte Tylin mit tonloser Stimme. »Das hat man mir nicht gesagt. Die Aes Sedai, die mich seit dem Tag meiner Krönung berät und vor mir auch schon meinen Vater beraten hat, ist ohne Erklärung zur Burg aufgebrochen. Ich erfahre, dass die Gerüchte, die Burg würde sich spalten, der Wahrheit entsprechen. Drachenverschworene scheinen aus dem Boden zu wachsen. Eine Amyrlin wird gewählt, um sich Elaida und einem versammelten Heer unter einem der großartigsten Befehlshaber in Altara entgegenzustellen, bevor ich davon erfahre. Wenn all das geschieht, könnt Ihr nicht von mir erwarten, von Überraschungen begeistert zu sein.«
Nynaeve hoffte, dass ihr Gesichtsausdruck ihr Gefühl der Übelkeit nicht preisgab. Warum konnte sie nicht lernen, gelegentlich den Mund zu halten? Sie erkannte jäh, dass sie die Wahre Quelle nicht mehr spürte. Zorn und Verlegenheit passten nicht gut zusammen. Aber es war vermutlich besser so. Wenn sie die Macht lenken könnte, würde sie vielleicht einen noch größeren Narren aus sich machen.
Elayne versuchte sogleich, die Dinge wieder geradezubiegen. »Ich weiß, dass Ihr dies schon zuvor gehört habt«, belehrte sie Tylin, »aber lasst mich nach Merilille und den anderen auch meine Entschuldigungen aussprechen. Ohne Erlaubnis ein Heer innerhalb Eurer Grenzen zu erheben, war unvernünftig. Ich kann nur sagen, dass die Ereignisse schnell voranschritten und wir in Salidar aufgehalten wurden, aber das ist keine wirkliche Entschuldigung. Ich schwöre Euch, Altara sollte kein Schaden zugefügt und der Thron der Winde nicht beleidigt werden. Noch während wir miteinander sprechen, führt Gareth Bryne das Heer im Norden aus Altara hinaus.«
Tylin sah sie unbewegt an. »Ich habe zuvor kein Wort der Entschuldigung gehört. Aber jeder Herrscher Altaras muss lernen, Beleidigungen von größeren Mächten ohne Murren hinzunehmen.« Sie atmete tief ein und vollführte mit schwingenden Spitzen eine Handbewegung. »Setzt Euch, setzt Euch. Ihr beide. Ruht Euch auf Eurem Dolch aus und lasst Eurer Zunge freien Lauf.« Ihr plötzliches Lächeln kam einem Grinsen sehr nahe. »Ich weiß nicht, wir Ihr es in Andor ausdrückt. Fühlt Euch wie zu Hause und sagt Eure Meinung frei heraus.«
Nynaeve war froh, dass Elaynes blaue Augen sich überrascht weiteten, da sie selbst laut nach Luft rang. Dies war die Frau, von der Merilille behauptet hatte, sie brauche in polierten Marmor gehauenes Zeremoniell? Nynaeve war überaus froh, sich hinsetzen zu dürfen. Wenn sie an alle die verborgenen Strömungen in Salidar dachte, fragte sie sich, ob Tylin versuchte, sie zu … zu was? Sie war zu der Auffassung gelangt, dass jedermann, der kein enger Freund war, sie zu benutzen versuchte. Elayne saß starr auf der Stuhlkante.
»Ich meine, was ich sage«, erklärte Tylin. »Was auch immer Ihr äußert, werde ich nicht als Beleidigung auffassen.« Die Art, wie ihre Finger auf das edelsteinbesetzte Heft an ihrer Taille tippten, hätte jedoch eher allgemeines Schweigen bewirken können.
»Ich bin nicht sicher, wie ich beginnen soll«, sagte Nynaeve vorsichtig. Sie wünschte, Elayne hätte bei diesen Worten nicht genickt. Elayne sollte wissen, wie man mit Königen und Königinnen umging. Weshalb sagte sie nichts?
»Mit dem Warum«, sagte die Königin ungeduldig. »Warum kommen vier weitere Aes Sedai aus Salidar nach Ebou Dar? Der Grund kann nicht sein, Elaidas Abordnung in den Schatten stellen zu wollen – Teslyn nennt sie nicht einmal eine Abordnung, und sie besteht auch nur aus ihr und Joline … Das wusstet Ihr nicht?« Sie sank in ihren Sessel zurück, lachte und presste die Finger einer Hand auf ihre Lippen. »Wisst Ihr von den Weißmänteln? Ja?« Mit der freien Hand vollführte sie eine Schlagbewegung, und ihre Heiterkeit begann langsam abzuflauen. »So viel zu den Weißmänteln! Aber ich muss allen zuhören, die um meine Gunst buhlen, dem Lord
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