Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
immer zu zweit auf die Suche und gebt einander Rückendeckung. Jetzt treibt einige Bootsführer auf, die uns hinüberbringen können. Verdammt, ich hoffe, dass sie nicht alle hinausgefahren sind, um den Meervolk-Schiffen Obst zu verkaufen.«
Für Elayne sahen die Straßen genauso aus wie in Tel’aran’rhiod , fünf- bis sechsstöckige Ziegelsteingebäude, teilweise mit einer dünnen Schicht Mörtel bedeckt, die eng zusammenstanden und über dem unebenen Straßenpflaster aufragten. Jegliche Schatten schwanden zu dieser Tageszeit, wenn die goldene Sonne über den Köpfen brannte, vollständig aus den schmalen Gassen. Fliegen summten überall umher. Die einzigen Unterschiede zur Welt der Träume waren die vor den Fenstern hängende Wäsche, die Menschen – obwohl sich in der Mittagshitze nicht viele Leute draußen aufhielten – und der Geruch, ein äußerst stechender, kränklicher Geruch nach Verfall, der sie veranlasste, nicht zu tief atmen zu wollen. Leider ähnelten sich alle Straßen im Rahad.
Sie legte Birgitte eine Hand auf den Arm und hieß sie anhalten, als sie ein grobes Ziegelsteingebäude erblickte, bei dem vor einigen Fenstern schmuddelige Wäsche hing. Das leise Weinen eines Babys drang von irgendwo dort drinnen heraus. Das Gebäude hatte die richtige Anzahl Stockwerke – sechs. Sie war sicher, dass es sechs gewesen waren. Nynaeve beharrte darauf, dass es nur fünf waren.
»Ich glaube nicht, dass wir hier stehen bleiben und das Haus anstarren sollten«, sagte Birgitte leise. »Die Leute schauen schon.«
Das stimmte nicht ganz, in Wahrheit sorgte sich Birgitte nur um sie. Männer ohne Hemden und häufig in zerrissenen Westen stolzierten die Straße entlang, wobei das Sonnenlicht auf ihren Messingkreolen und den mit Buntglas geschmückten Ringen glitzerte, oder sie schlichen wie Köter dahin. Die Frauen taten es ihnen in üblicherweise abgetragenen Kleidern und mit billigem Schmuck gleich. Alle trugen einen gebogenen Dolch im Gürtel und häufig auch ein einfach gearbeitetes Messer.
In Wahrheit gönnte niemand ihr und Birgitte einen zweiten Blick, obwohl Birgittes gealtertes Gesicht häufig herausfordernd wirkte und sie selbst für eine Ebou Dari groß war. Als Elayne Birgitte ansah, erblickte sie eine Frau mit feinen Fältchen in den Augenwinkeln und von Grau durchzogenem schwarzen Haar. Die Verkleidungen waren leichter zu durchschauen, je näher man dem blieb, wie ein Mensch wirklich war. Daher war auch Birgittes Haar, das ihr in vier dicken, mit grünen Bändern befestigten Flechten über den Rücken hing, erheblich länger, als jede Ebou Dari es trug, aber auch Elayne hatte ihr Haar nicht geschnitten, und niemand schien es zu beachten. Es war eine perfekte Verkleidung. Sie wünschte nur, sie müsste nicht auch schwitzen. Mit dem komplizierteren Gewebe aus Geist, das die Fähigkeit der Frauen, die Macht zu lenken, verbarg, war Elayne heute Morgen auf ihrem Weg aus dem Palast direkt an Merilille vorbeigegangen. Sie trug es auch jetzt noch. Sie hatten Vandene und Adeleas mehr als einmal auf dieser Seite des Flusses gesehen.
Ihre Kleidung war natürlich nicht Teil des Gewebes, sondern es waren abgetragene Wollgewänder mit ausgefranster Stickerei an den Ärmeln und um den Halsausschnitt. Auch ihre Strümpfe waren aus Wolle und zumindest Elaynes juckten. Tylin hatte sie mit den Kleidungsstücken, verschiedenen Ratschlägen und den in Scheiden steckenden Hochzeitsdolchen versorgt. Anscheinend wurden verheiratete Frauen seltener herausgefordert als unverheiratete, und Witwen, die eine weitere Heirat ablehnten, am seltensten. Auch ihre betagte Erscheinung war hilfreich. Niemand forderte eine grauhaarige Großmutter heraus, auch wenn sie jemanden herausfordern könnte.
»Wir sollten hineingehen«, sagte Elayne, und Birgitte ging voraus, eine Hand auf dem Dolch in ihrem rauen, braunen Wollgürtel, um die ungestrichene Tür aufzustoßen. Innen erwartete sie ein düsterer, von groben Türen gesäumter Gang, und an der entgegengesetzten Seite war eine steile, enge Treppe aus Ziegelsteinen zu sehen. Elayne unterdrückte ein erleichtertes Seufzen.
Ob man nun eine weiße Scheide mit sich führte oder nicht – ein Gebäude zu betreten, in das man nicht hineingehörte, konnte sehr wohl bedeuten, dort in eine Messerstecherei zu geraten. Auch das Fragenstellen oder Neugier konnten dies bewirken. Tylin hatte davon abgeraten, aber sie hatten bereits am ersten Tag nur durch blaue Türen gekennzeichnete
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