Das Rad der Zeit 7. Das Original: Die Krone der Schwerter (German Edition)
wenn sie den Begriff ›Wilde‹ gebrauchte. Aus dem Munde der meisten Aes Sedai bedeutete es eine Beleidigung, aber sie beabsichtigte, sie diesen Begriff eines Tages wieder mit Stolz aussprechen zu lassen. »Und sie nannte sie den ›Kreis‹. Das klingt für mich nicht nach einigen Freunden. Es klingt nach einer Gemeinschaft.« Die Gasse wand sich zwischen hohen Mauern und Rückseiten von Gebäuden hindurch, wobei bei vielen die bloßen Ziegelsteine durch den Verputz sahen, und an Palastgärten und Läden vorbei, wo manche offene Hintertür einen Blick auf Silberschmiede, Schneider oder Holzschnitzer bei der Arbeit freigab. Frau Anan schaute mindestens ebenso häufig über ihre Schulter, um sich zu vergewissern, dass sie ihr noch immer folgten. Nynaeve lächelte und nickte ihr zu, was hoffentlich Eifer vermittelte.
»Nynaeve, wenn zwei Frauen, welche die Macht lenken können, eine Gemeinschaft bildeten, würde die Burg über sie herfallen wie ein Rudel Wölfe. Woher sollte Frau Anan außerdem wissen, ob sie es können oder nicht? Frauen, die es können und keine Aes Sedai sind, zeigen sich nicht überall, wie du weißt. Jedenfalls nicht sehr lange. Auf jeden Fall kann ich nicht erkennen, dass es einen Unterschied machte. Egwene will vielleicht jede Frau, welche die Macht lenken kann, irgendwie zur Burg bringen, aber darum sind wir nicht hier.« Die frostige Geduld in Elaynes Stimme ließ Nynaeve ihren Zopf noch fester umfassen. Wie konnte die Frau so begriffsstutzig sein? Sie lächelte Frau Anan erneut zu und unterdrückte dann nur mit Mühe einen finsteren Blick auf deren Rücken, als jene den Kopf wieder nach vorn wandte.
»Fünfzig Frauen sind nicht zwei Frauen«, flüsterte Nynaeve heftig. Sie konnten die Macht lenken. Es musste so sein. Alles deutete darauf hin. »Es ist unvorstellbar, dass dieser Kreis in einer Stadt mit einem Lagerraum voller Angreale besteht, ohne dass davon zumindest bekannt ist. Und wenn dem so ist …« Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme vor Zufriedenheit troff. »… werden wir die Schale ohne Meister Matrim Cauthon finden. Wir können diese lächerlichen Versprechen vergessen.«
»Sie waren keine Bestechung, Nynaeve«, sagte Elayne wie abwesend. »Ich werde sie halten, und du ebenfalls, wenn du Ehrgefühl besitzt, und das weiß ich.« Sie verbrachte absolut zu viel Zeit mit Aviendha. Nynaeve wünschte, sie wüsste, warum Elayne begonnen hatte zu glauben, dass sie alle diesem Aiel-Unsinn folgen müssten.
Elayne biss sich stirnrunzelnd auf die Unterlippe. Alle Frostigkeit war von ihr gewichen. Sie war anscheinend wieder ihr altes Selbst. Schließlich sagte sie: »Wir wären ohne Meister Cauthon niemals zu dem Gasthaus gegangen, weshalb wir auch niemals der bemerkenswerten Frau Anan begegnet oder zu dieser Gemeinschaft geführt worden wären. Wenn sie uns also zur Schale führt, müssen wir anerkennen, dass er der ursächliche Grund dafür war.«
Mat Cauthon. Sein Name brodelte in ihrem Kopf. Nynaeve stolperte über ihre eigenen Füße und ließ den Zopf los, um ihre Röcke zu raffen. Der Boden der Gasse war nicht so glatt wie ein gepflasterter Platz und weitaus unebener als ein Palastboden. Manchmal war eine aufgeregte Elayne besser als eine Elayne, die klar denken konnte. »Bemerkenswert«, murmelte sie. »Niemand hat uns jemals so behandelt wie Frau Anan, Elayne, nicht einmal Menschen, die zweifelten, nicht einmal das Meervolk. Die meisten Leute wären vorsichtig, wenn eine Zehnjährige vorgibt, eine Aes Sedai zu sein.«
»Die meisten Leute wissen nicht wirklich, wie eine Aes Sedai aussieht, Nynaeve. Ich denke, sie ist einst zur Burg gegangen. Sie weiß Dinge, die sie sonst nicht wissen könnte.«
Nynaeve schnaubte und betrachtete finster den Rücken der vorauseilenden Frau. Setalle Anan mochte zehnmal, hundertmal zur Burg gegangen sein – sie würde Nynaeve al’Meara dennoch als Aes Sedai anerkennen und sich entschuldigen müssen. Und auch erfahren müssen, wie es war, am Ohr umhergezerrt zu werden! Frau Anan schaute zurück, und Nynaeve gönnte ihr ein starres Lächeln und nickte, als wäre ihr Hals ein Scharnier. »Elayne? Wenn diese Frauen wissen, wo sich die Schale befindet … Wir müssen Mat nicht erzählen, wie wir sie gefunden haben.« Es klang leicht fragend.
»Ich sehe nicht ein, warum nicht«, erwiderte Elayne und machte dann alle ihre Hoffnungen zunichte, indem sie hinzufügte: »Aber ich muss vorsichtshalber Aviendha fragen.«
Wenn sie nicht
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