Das Rad der Zeit 7. Das Original: Die Krone der Schwerter (German Edition)
Wiedergeborener, hundert Jemande, tausend und mehr. So bestimmte es das Muster. Jedermann starb und wurde wiedergeboren, immer wieder, während sich das Rad drehte, ewig, ohne Ende. Aber niemand sonst sprach mit demjenigen, der er einmal gewesen war. Niemand sonst hatte Stimmen in seinem Kopf. Außer Wahnsinnigen.
Was ist mit mir?, dachte Rand. Er hatte eine Hand fest um das Drachenszepter und die andere auf den Schwertgriff gelegt. Was ist mit dir? Wie unterscheiden wir uns von ihnen?
Da war nur Schweigen. Lews Therin antwortete allzu oft nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er niemals geantwortet hätte.
Bist du real?, fragte die Stimme schließlich verwundert. Dieses Leugnen von Rands Dasein geschah genauso häufig wie das Verweigern der Antwort. Bin ich real? Ich habe mit jemandem gesprochen. In einer Schachtel. Einer Kiste. Leises, keuchendes Lachen. Bin ich tot, oder wahnsinnig, oder beides? Gleichgültig. Ich bin verdammt, und dies ist der Krater des Verderbens. Ich bin … v-verdammt, jetzt wildes Lachen, und d-dies – ist der K-Krater des …
Rand dämpfte die Stimme, bis sie wie ein Insektensummen klang, etwas, was er gelernt hatte, während er eingeengt in der Kiste gesessen hatte. Allein in der Dunkelheit. Nur er, und der Schmerz, und der Durst, und die Stimme eines schon lange toten Wahnsinnigen. Die Stimme war mitunter ein Trost gewesen, sein einziger Gefährte. Sein Freund. Etwas blitzte in seinem Geist auf. Keine Bilder, nur das Flackern von Farbe und Bewegung. Es erinnerte ihn aus irgendeinem Grund an Mat und an Perrin. Das Aufblitzen hatte in der Kiste begonnen, das und tausend weitere Halluzinationen. In der Kiste, in die Galina und Erian und Katerine und die anderen ihn jeden Tag, nachdem er geschlagen worden war, hineingepfercht hatten. Er schüttelte den Kopf. Nein. Er befand sich nicht mehr in der Kiste. Seine Finger, die er um Szepter und Schwert geklammert hatte, schmerzten. Nur Erinnerungen waren geblieben, und Erinnerungen hatten keine Macht. Er war nicht …
»Wenn wir diese Reise unternehmen müssen, bevor Ihr etwas esst, dann sollten wir das tun. Für alle anderen ist die Abendmahlzeit schon längst beendet.«
Rand blinzelte, und Sulin wich vor seinem Blick zurück. Sulin, die sich einem Leopard Auge in Auge gegenüberstellen würde. Er entkrampfte seine Gesichtsmuskeln, versuchte es. Es fühlte sich wie eine Maske an, wie die Maske eines anderen Menschen.
»Geht es Euch gut?«, fragte sie.
»Ich habe nachgedacht.« Er zwang seine Hände auseinander und schlüpfte in seinen Mantel. Es war ein besser passender Mantel als der, den er von den Brunnen von Dumai an getragen hatte, dunkelblau, schlicht. Er fühlte sich auch nach einem Bad nicht sauber, nicht solange Saidin in ihm war. »Manchmal denke ich zu viel nach.«
Fast zwanzig weitere Töchter des Speers drängten sich an einem Ende des fensterlosen, mit dunklen Paneelen getäfelten Raums zusammen. Acht goldüberzogene Kandelaber an den Wänden, die vor Spiegeln standen, um mehr Licht zu erhalten, lieferten die Beleuchtung. Er war froh darüber. Er mochte dunkle Orte nicht mehr. Auch drei der Asha’man waren da. Die Aiel-Frauen standen auf einer Seite des Raums und die Asha’man auf der anderen. Jonan Adley, trotz seines Namens ein Altarener, stand mit gekreuzten Armen da und wölbte tief in Gedanken die Augenbrauen. Er war vielleicht vier Jahre älter als Rand und wollte das silberne Schwert der Geweihten erringen. Eben Hopwil hatte mehr Fleisch auf den Knochen und weniger Hautflecke im Gesicht als zu der Zeit, als Rand ihm zum ersten Mal begegnet war, obwohl seine Nase und die Ohren noch immer seine größten Körperteile zu sein schienen. Er betastete die Anstecknadel in Form eines Schwerts am Kragen, als sei er überrascht, sie dort vorzufinden. Fedwin Morr hätte das Schwert ebenfalls getragen, wenn er nicht in einen grünen, einem wohlhabenden Händler oder niederen Adligen angemessenen und an Manschetten und Kragen mit Silberstickerei versehenen Mantel gekleidet gewesen wäre. Er war im gleichen Alter wie Eben, aber gedrungener und fast ohne Hautflecke. Wegen ihnen hatte Lews Therin gewütet, wegen ihnen und den übrigen Asha’man. Asha’man, Aes Sedai, jedermann, der die Macht lenken konnte, regte ihn auf.
»Ihr denkt scheinbar zu viel nach, Rand al’Thor.« Enaila ergriff mit einer Hand einen kurzen Speer und ihren Schild und mit der anderen drei weitere Speere, und sie klang, als wollte sie ihm mit
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