Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
Untergang beschert hätten – besonders, da Elayne ihr insgeheim zustimmen musste. Es hatte ihr auch nicht gefallen zu hören, dass Egwene ihnen beiden nur deswegen keine strenge Buße auferlegte, weil sie es sich nicht leisten konnte, sie ihre Zeit verschwenden zu lassen. Dennoch war es nötig und rechtens gewesen. Wenn sie den Löwenthron innehätte, wäre sie noch immer eine Aes Sedai und deren Gesetzen, Regeln und Bräuchen unterworfen. Das galt nicht für Andor – sie würde ihr Land nicht der Weißen Burg übergeben –, aber für sie selbst. Daher akzeptierte sie Egwenes Vorhaltungen ruhig, so unerfreulich sie auch waren. Nynaeve hatte sich gewunden und verlegen gestottert, widersprochen und fast geschmollt, sich aber dann so ausgiebig entschuldigt, dass Elayne kaum glauben konnte, sie sei noch dieselbe Frau, die sie schon so lange kannte. Natürlich war Egwene die Amyrlin geblieben, in ihrer Ungehaltenheit kühl, selbst als sie ihr die Fehler verzieh. Heute Nacht konnte es bestenfalls noch unerfreulicher oder ungemütlicher werden, wenn Egwene anwesend war.
Aber als sie sich ins Salidar Tel’aran’rhiods träumten, in jenen Raum der Kleinen Burg, der das Arbeitszimmer der Amyrlin genannt wurde, war Egwene nicht dort, und der einzige Hinweis darauf, dass sie den Raum seit ihrem letzten Treffen aufgesucht hatte, waren einige wie von einer trägen Hand, die sich nicht viel Mühe machen wollte, grob auf ein wurmzerfressenes Wandpaneel geritzte, kaum sichtbare Worte.
BLEIBT IN CAEMLYN
Und wenige Handbreit daneben:
VERHALTET EUCH RUHIG UND SEID VORSICHTIG
Das waren Egwenes letzte Anweisungen. Sie sollten nach Caemlyn ziehen und dortbleiben, bis sie herausfand, wie man den Saal daran hindern könnte, sie alle zu vernichten. Eine Mahnung, die sie nicht auslöschen konnten.
Elayne umarmte Saidar und lenkte die Macht, um ihre Nachricht zu hinterlassen: die Zahl fünfzehn scheinbar auf den schweren Tisch eingeritzt, der Egwenes Schreibtisch gewesen war. Indem sie das Gewebe umkehrte und abband, würde nur jemand, der seine Finger über die Ziffern gleiten ließ, erkennen, dass sie nicht wirklich vorhanden waren. Vielleicht brauchten sie keine fünfzehn Tage bis Caemlyn, aber gewiss mehr als eine Woche.
Nynaeve schritt zum Fenster und spähte in beide Richtungen hinaus, wobei sie sorgfältig darauf achtete, den Kopf nicht zu weit vorzustrecken. Dort draußen war es ebenso Nacht wie in der wachen Welt, und der helle Schein des Vollmonds schimmerte auf dem Schnee, obwohl sich die Luft nicht kalt anfühlte. Außer ihnen sollte niemand dort sein, und wenn jemand dort war, sollte man ihn tunlichst meiden. »Hoffentlich sind ihre Pläne nicht durcheinandergeraten«, murmelte sie.
»Sie hat uns befohlen, diese Pläne nicht einmal untereinander zu erwähnen, Nynaeve. ›Ein ausgesprochenes Geheimnis bekommt Flügel.‹« Das war ein weiteres von Linis vielen Lieblingssprichworten gewesen.
Nynaeve sah sie über die Schulter mit verzerrter Miene an und betrachtete dann wieder die schmale Gasse. »Für dich ist es anders. Ich habe sie als Kind umsorgt, ihre Windeln gewechselt und ihr gelegentlich den Hintern versohlt. Und jetzt muss ich springen, wenn sie mit den Fingern schnippt. Das ist schwer.«
Elayne konnte nicht anders. Sie schnippte mit den Fingern.
Nynaeve fuhr so schnell herum, dass ihr Anblick verschwamm, die Augen vor Entsetzen geweitet. Ihr Gewand verwandelte sich von einem blauen Reitgewand zunächst in das mit Streifen versehene Weiß der Aufgenommenen und dann in das dunkle, robuste Tuch der Zwei Flüsse. Als sie erkannte, dass Egwene nicht da war, wurde sie vor Erleichterung fast ohnmächtig.
Als sie wieder in ihre Körper zurückkehrten und erwachten, um den anderen zu sagen, sie könnten zu Bett gehen, hielt Aviendha die Geschichte gewiss für einen guten Scherz, und Birgitte lachte ebenfalls. Nynaeve bekam jedoch ihre Rache. Am nächsten Morgen weckte sie Elayne mit einem Eiszapfen. Elaynes Schreie weckten auch alle Übrigen im ganzen Dorf auf.
Drei Tage später erfolgte die erste Erschütterung.
KAPITEL 21
Dem Ruf folgen
D ie Cemaros genannten großen Winterstürme tobten weiterhin vom Meer der Stürme heran und rauer, als selbst die Alten sich erinnerten. Einige meinten, die Cemaros wollten in diesem Jahr ihre monatelange Verspätung wettmachen. Blitze rissen den Himmel auf, sodass die Dunkelheit in Licht getaucht wurde. Wind peitschte das Land, und Regen prasselte darauf ein und
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