Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
unterrichten«, sagte sie, verneigte sich kurz und berührte mit den Fingern nacheinander Stirn, Lippen und Brust. Keine tiefe Verbeugung, heute würden sie nur die Andeutung einer Verbeugung bekommen. Nun ja, zwei Andeutungen. Die Windsucherinnen würden ebenfalls eine bekommen müssen. »Ich danke Euch, Windsucherinnen, dass Ihr mir erlaubt habt, Euch zu unterrichten.« Die Schwestern, die irgendwann zum Atha’an Miere reisten, würden vor Wut platzen, wenn sie begriffen, dass ihre Schülerinnen ihnen sagen konnten, was sie ihnen beibringen sollten und wann, und ihnen sogar befehlen würden, was sie zu tun hatten, wenn sie nicht unterrichteten. Auf einem Schiff des Meervolks nahm eine Lehrerin einen höheren Rang als das gewöhnliche Deckvolk ein, aber auch das nur so gerade eben. Und die Schwestern würden nicht einmal die fetten Börsen voller Gold bekommen, mit denen man die anderen Lehrer an Bord lockte.
Zaida und die Windsucherinnen reagierten ungefähr so, als hätte die Niederste aller Matrosinnen ihr Gehen verkündet. Sie standen bloß in einer stummen Gruppe zusammen und warteten darauf, dass sie endlich verschwand. Allein Rainyn schenkte ihr einen Blick. Einen ungeduldigen Blick. Sie war eine Windsucherin, und das war alles, was zählte. Talaan stand noch immer an derselben Stelle, eine demütige Gestalt, die auf den Teppich vor ihren nackten Füßen starrte.
Mit hocherhobenem Kopf und durchgedrücktem Rückgrat verließ Nynaeve den Raum mit jedem Funken Würde, den sie zum Ausdruck bringen konnte. Verschwitzte, malträtierte Funken. Draußen im Korridor packte sie die Tür mit beiden Händen und warf sie so fest ins Schloss, wie sie nur konnte. Das laut hallende Krachen war sehr befriedigend. Falls sich jemand beschwerte, konnte sie noch immer sagen, dass sie ihr aus der Hand geglitten sei. Das war sie tatsächlich, nachdem sie ordentlich Schwung geholt hatte.
Sie wandte sich von der Tür ab und klopfte sich zufrieden die Hände ab. Und zuckte zusammen, als sie sah, wer da im Korridor auf sie wartete.
In dem einfachen dunkelblauen Gewand, das eine Leihgabe einer der Kusinen war, sah Alivia auf den ersten Blick nicht im Mindesten ungewöhnlich aus; sie war etwas größer als Nynaeve, hatte feine Fältchen um die blauen Augen und weiße Strähnen in dem goldgelben Haar. Die blauen Augen funkelten jedoch vor Intensität, wie die Augen eines Falken, die auf seine Beute gerichtet waren.
»Frau Corly hat mich geschickt, ich soll Euch sagen, dass sie gern mit Euch zu Abend essen möchte«, sagte das blauäugige Falkenweibchen mit einem langsamen, seanchanischen Akzent. »Es werden Frau Karistovan, Frau Arman und Frau Juarde da sein.«
»Was tut Ihr allein hier?«, wollte Nynaeve wissen. Sie wünschte sich, sie könnte wie die meisten anderen Schwestern sein, sich der Stärke, die eine andere Frau in der Macht hatte, bewusst sein, ohne überhaupt darüber nachdenken zu müssen, aber auch das war etwas, das sie zu lernen versäumt hatten. Vielleicht konnte einer der Verlorenen Alivia übertreffen, aber sonst mit Sicherheit niemand. Und sie war Seanchanerin. Eine vom Kragen befreite Damane . Die eigentlich keinen Schritt ohne Bewachung tun sollte. Nynaeve wünschte sich, es wäre außer ihnen beiden noch jemand da. Selbst Lan, und dabei hatte sie ihm befohlen, bei ihrem Unterricht beim Meervolk fortzubleiben. Sie war nicht davon überzeugt, dass er ihr die Geschichte mit dem Sturz auf der Treppe letztens geglaubt hatte. »Ihr sollt doch nicht ohne Eskorte irgendwohin gehen!«
Alivia zuckte mit den Schultern, eine kaum merkliche Bewegung. Noch vor wenigen Tagen war sie ein Nervenbündel gewesen, das Talaan wie eine mutige Draufgängerin hätte aussehen lassen. Jetzt beugte sie sich vor niemandem mehr. »Es hatte niemand Zeit, also habe ich mich selbst herausgelassen. Davon abgesehen, wenn Ihr mich immer bewachen lasst, werdet Ihr mir niemals vertrauen, und ich werde niemals Sul’dam töten können.« In diesem beiläufigen Tonfall klang das irgendwie noch unheimlicher. »Ihr solltet von mir lernen. Diese Asha’man behaupten, sie seien Waffen, und sie sind nicht mal schlecht, das weiß ich genau, aber ich bin besser.«
»Das mag ja sein«, erwiderte Nynaeve scharf und rückte ihre Stola zurecht. »Und vielleicht wissen wir mehr, als Ihr glaubt.« Sie hätte nichts dagegen gehabt, dieser Frau ein paar der Gewebe vorzuführen, die sie von Moghedien gelernt hatte. Diejenigen eingeschlossen, über die sie
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