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Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)

Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)

Titel: Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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als hätte man entdeckt, dass sie die Macht lenken konnten. Selbst jetzt war ihre Stellung noch alles andere als sicher. Ein einziger Fehltritt konnte ihren Tod bedeuten oder, noch schlimmer, dass man sie nackt auszog und auf dem öffentlichen Sklavenmarkt verkaufte. Das Licht sei gesegnet – wenn sie lächelte, sah sie noch immer wie sechzehn aus! Höchstens!
    Kichernd wandte sich Selucia ab, um die eng sitzende Haube aus goldener Spitze von ihrem rot lackierten Ständer auf dem Ankleidetisch zu holen. Die sparsam verarbeitete Spitze würde den größten Teil ihres kahl geschorenen Kopfes entblößen und sie mit den Raben-und-Rosen kennzeichnen. Vielleicht war sie ja gar nicht sei’mosiev , aber um der Corenne willen musste sie ihr Gleichgewicht wiederfinden. Sie konnte Anath, ihre Soe’feia , darum bitten, ihr eine Strafe aufzuerlegen, aber seit Neferis unerwartetem Tod waren keine zwei Jahre vergangen, und sie fühlte sich bei ihrem Ersatz noch immer nicht ganz wohl. Etwas sagte ihr, dass sie das allein tun musste. Vielleicht hatte sie ein Omen gesehen, das sie nicht beachtet hatte. Vermutlich gab es keine Ameisen auf dem Schiff, aber doch bestimmt irgendwelche Käfer.
    »Nein, Selucia«, sagte sie leise. »Einen Schleier.«
    Selucias Lippen verzogen sich missbilligend, aber sie stülpte die Haube wortlos auf ihren Ständer. Unter vier Augen, so wie jetzt, hatte sie die Erlaubnis, frei zu sprechen, aber sie wusste, was man aussprechen durfte und was nicht. Tuon hatte sie nur zweimal bestrafen müssen, und das Licht war ihr Zeuge, sie hatte es genauso sehr bedauert wie Selucia. Wortlos holte ihre Ankleidedame einen langen, durchsichtigen Schleier, wand ihn um Tuons Kopf und befestigte ihn mit einem schmalen Band aus rubinenbesetztem Goldgeflecht. Der Schleier war noch durchsichtiger als die Gewänder der Da’covale und verbarg ihr Gesicht nicht im Mindesten. Aber er verbarg das, was am wichtigsten war.
    Nun legte Selucia einen langen, goldbestickten blauen Umhang auf Tuons Schultern, trat zurück und machte eine so tiefe Verbeugung, dass das Ende ihres goldblonden Zopfes den Teppich berührte. Die knienden Da’covale neigten die Gesichter bis auf den Boden. Die Zeit für Privatangelegenheiten war vorbei. Tuon verließ die Kabine allein.
    In der zweiten Kabine standen sechs Sul’dam , drei auf jeder Seite, deren Schutzbefohlene vor ihnen auf den breiten, polierten Planken knieten. Die Sul’dam nahmen bei ihrem Anblick Haltung an, so stolz wie die silbernen Blitze auf den roten Stoffrechtecken auf ihren Röcken. Die in Grau gekleideten Damane knieten aufrecht, von ihrem eigenen Stolz erfüllt. Bis auf die arme Lidya, die zusammengesunken auf den Knien hockte und versuchte, das tränennasse Gesicht auf das Deck zu pressen. Ianelle, die die Leine der rothaarigen Damane hielt, starrte stirnrunzelnd auf sie herab.
    Tuon seufzte. Lidya war für ihre Wut am gestrigen Abend verantwortlich gewesen. Nein, sie hatte sie ausgelöst, aber Tuon war für ihre eigenen Gefühle verantwortlich. Sie hatte der Damane befohlen, ihr die Zukunft vorherzusagen, und hätte nicht anordnen sollen, ihr mit der Rute eine Tracht Prügel zu verpassen, weil ihr nicht gefiel, was sie zu hören bekam.
    Sie beugte sich vor, nahm Lidyas Kinn in die Hand, legte die langen, rot lackierten Fingernägel auf die sommersprossige Wange der Damane und zog sie hoch, bis sie auf den Fersen saß. Was ein Zusammenzucken und frische Tränen hervorrief, die Tuon abwischte, während sie die Damane hochzog, bis sie kniete. »Lidya ist eine gute Damane , Ianelle«, sagte sie. »Bestreicht ihre Striemen mit Sorfatinktur und gebt ihr Löwenherz gegen die Schmerzen, bis sie verschwunden sind. Und bis sie verschwunden sind, soll sie zu jeder Mahlzeit einen süßen Vanillekuchen bekommen.«
    »Wie die Hochlady befiehlt«, erwiderte Ianelle förmlich, aber sie lächelte schmal. Alle Sul’dam mochten Lidya, und es hatte ihr nicht gefallen, die Damane zu bestrafen. »Sollte sie fett werden, werde ich sie rennen lassen, Hochlady.«
    Lidya drehte den Kopf, um Tuons Handfläche zu küssen, und murmelte: »Lidyas Herrin ist freundlich. Lidya wird nicht fett.«
    Tuon schritt die beiden Reihen ab, sprach ein paar Worte zu jeder Sul’dam und tätschelte jede Damane . Die sechs, die sie mitgebracht hatte, waren ihre besten, und sie strahlten sie mit einer Zuneigung an, die jener gleichkam, die sie für sie empfand. Sie hatten eifrig darum gekämpft, erwählt zu werden. Dali

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