Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
lebte. Jetzt hing ihr dunkles Haar über die Schultern, gehalten von einer kleinen Haube aus feiner Spitze, und ihre Kleidung war so kostbar wie Elaynes. Das Oberteil aus dunklem Blau wies genau wie der Kragen und der Rocksaum und die Ärmelaufschläge silberne Stickereien auf. Silbern verzierte Samtslipper ersetzten die derben Schuhe. Elayne musste sich konzentrieren, um zu verhindern, dass sich ihr grünes Reitgewand – vielleicht auf peinliche Weise – veränderte, aber bei ihrer Freundin waren die Veränderungen zweifellos bewusst entstanden.
Sie hoffte, dass Rand Emondsfelde noch immer lieben konnte, aber es war nicht länger das Dorf, in dem er und Egwene aufgewachsen waren. Hier in der Welt der Träume gab es keine Menschen, dennoch war Emondsfelde nun offensichtlich eine richtige Stadt, sogar eine blühende Stadt, in der fast jedes dritte Haus aus Stein errichtet war. Einige waren sogar drei Stockwerke hoch und es waren mehr Dächer mit Ziegeln in allen Farben des Regenbogens gedeckt als mit Stroh. Einige Straßen waren mit glatten, genau passenden Ziegeln gepflastert, die noch neu und nicht abgetreten waren, und um die Stadt wuchs sogar eine dicke Steinmauer mit Türmen und eisenbeschlagenen Toren empor, die einer Grenzland-Stadt zur Ehre gereicht hätte. Außerhalb der Mauer gab es Säge- und Getreidemühlen, eine Eisengießerei und große Webereien sowohl für Wolle als auch für Teppiche; in ihrem Schutz reihten sich Läden von Möbeltischlern, Töpfermeistern, Näherinnen, Scherenschleifern und Gold- und Süberschmieden aneinander, von denen viele mindestens genauso gut wie die Caemlyns waren, obwohl einige der Dekore aus Arad Doman oder Tarabon zu stammen schienen.
Die Luft war kühl, aber nicht kalt, und es gab keinerlei Anzeichen für Schnee auf dem Boden, zumindest nicht im Augenblick. Hier stand die Sonne genau im Zenit, allerdings hoffte Elayne, dass es in der wachen Welt noch immer Nacht war. Sie wollte noch etwas echten Schlaf mitbekommen, bevor sie sich dem Morgen stellen musste. In den letzten paar Tagen war sie immer müde gewesen; es gab einfach so viel zu tun und so wenige Stunden. Sie waren hergekommen, weil es unwahrscheinlich erschien, dass sie hier von einem Spion entdeckt wurden, aber Egwene war stehen geblieben, um sich die Veränderungen des Ortes anzuschauen, in dem sie geboren worden war. Und Elayne hatte außer Rand ihre eigenen Gründe, sich Emondsfelde genau anzusehen. Das Problem – eines der Probleme – war nur, dass in der wachen Welt eine Stunde verging, während man in der Welt der Träume fünf oder zehn verbrachte, doch es konnte auch genauso gut andersherum sein. Möglicherweise war es in Caemlyn bereits Morgen.
Egwene blieb an der Einmündung zum Dorfplatz stehen und blickte zurück zu der breiten Steinbrücke, die sich über den schnell breiter werdenden Fluss spannte; er entsprang einer Quelle, die stark genug aus einem aus dem Boden hervorragenden Felsen schoss, um einen Mann von den Füßen zu reißen. In der Mitte des Dorfplatzes erhob sich eine Marmorsäule, in die man überall Namen eingemeißelt hatte, die von zwei hohen Fahnenmasten auf Steinpodesten flankiert wurde. »Ein Schlachtendenkmal«, murmelte sie. »Wer hätte sich solch ein Ding in Emondsfelde vorstellen können? Obwohl Moiraine behauptet hat, dass an dieser Stelle einst eine große Schlacht geschlagen wurde, in den Trolloc-Kriegen, als Manetheren unterging.«
»Es stand in den Geschichtsbüchern, die ich studiert habe«, sagte Elayne leise und betrachtete die leeren Fahnenmasten. Die im Augenblick leeren Masten. Sie konnte Rand hier nicht fühlen. Oh, er war noch immer genauso sehr in ihrem Kopf wie Birgitte, ein felsengleicher Knoten aus Gefühlen und körperlichen Empfindungen, der jetzt, da Rand weit weg war, sogar noch schwerer zu deuten war, doch hier im Tel’aran’rhiod vermochte sie nicht zu sagen, in welcher Richtung er sich befand. Sie vermisste dieses Wissen, so geringfügig es auch war. Sie vermisste ihn.
Banner erschienen an den Fahnenmasten und blieben gerade lange genug, um einmal müde zu flattern. Lange genug, um einen roten Adler sichtbar werden zu lassen, der über ein blaues Feld flog. Nicht einen roten Adler: der Rote Adler. Als sie diesen Ort einmal mit Nynaeve im Tel’aran’rhiod besucht hatte, hatte sie geglaubt, ihn gesehen zu haben, später dann aber entschieden, dass es ein Irrtum gewesen war. Meister Norry hatte sie aufgeklärt. Sie liebte Rand, aber falls
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