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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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dunkeln tappte. «Dieser Fall gibt mir mehr Rätsel auf, als mir lieb ist, Max», sagte er. «Daß jemand seinem Opfer, um eine Identifizierung zu verhindern, den Kopf abtrennt, das erscheint mir ja noch plausibel; auch daß die Hände fehlen, kann ich mir zur Not erklären. Aber warum, um alles in der Welt, hat man ihm auch noch die Beine abgeschnitten?»
    «Aus genau demselben Grund wie Kopf und Hände.»
    «Du meinst, weil sie uns erlaubt hätten, ihn zu identifizieren? Das würde ja bedeuten, daß sie irgendeine Besonderheit aufgewiesen hätten... Denkbar wäre es natürlich. Vielleicht hat er Holzbeine gehabt, was meinst du?»
    «Das heißt nicht Holzbeine, sondern künstliche Prothesen .»
    «Eine andere Möglichkeit wäre, daß er keine Zehen mehr gehabt hat — wäre auch eine Besonderheit.»
    «In der Tat», sagte der Pathologe ironisch. «So jemand ist mir bisher jedenfalls noch nicht untergekommen. Aber in einem anderen Punkt muß ich dir recht geben. Er sah wirklich nicht aus wie jemand, der Flöhe gehabt hat. Elegant geschnittenes Jackett von guter Qualität, teures Hemd. Der Bursche muß in gehobener Position gearbeitet haben — gutes Gehalt, Büro mit Teppichboden, Dienstwagen... Also, ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß er Bankdirektor gewesen ist.»
    «Oder Professor», sagte Morse nachdenklich.

    Zehntes Kapitel
    Mittwoch, 23.Juli

Ungeachtet seiner Zahnschmerzen nimmt Morse die Ermittlungen auf und beginnt mit der Rekonstruktion eines Briefes.

    Obwohl Morse an die Aufklärung eines Verbrechens eher intuitiv heranging, war er dennoch ein umsichtiger Organisator, so daß, als er sich gegen Abend an seinem Schreibtisch niederließ, bereits alle bei einem Mordfall notwendigen Maßnahmen in die Wege geleitet worden waren. Kaum daß er saß, kam ein Anruf von Superintendent Strange.
    «Ich nehme an, Sie möchten, daß ich Ihnen Lewis an die Seite gebe.»
    «Ja, bitte. Und dann brauche ich auch noch ein paar Froschmänner.»
    «Und außer den Froschmännern?»
    «Sonst niemanden mehr — jedenfalls im Augenblick nicht.»
    «Wieso nicht?»
    «Ich wüßte nicht, womit ich sie beschäftigen sollte.»
    «Na gut.»
    Morse legte den Hörer auf und blickte auf seine Uhr. Schon halb acht; verdammt, da hatte er doch wieder die Archers im Radio verpaßt! Außerdem fühlte er jetzt, wo die ersten notwendigen Schritte eingeleitet worden waren und er langsam zur Ruhe kam, auf einmal wieder den Schmerz im linken unteren Backenzahn, den er den Tag über inmitten der hektischen Betriebsamkeit kaum noch wahrgenommen hatte. Er mußte morgen unbedingt etwas dagegen tun. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag in reichlich durchweichtem Zustand der Zettel, den der Pathologe dem Toten aus der Hosentasche gefischt hatte, doch er verspürte keine Lust, sich jetzt damit zu befassen.
    Während er so dasaß, unschlüssig, was er als nächstes tun solle, fiel ihm Stranges Angebot wieder ein, ihm noch mehr Männer zur Verfügung zu stellen. Und im nachhinein wurde ihm plötzlich bewußt, daß es für seine Ablehnung noch einen anderen Grund gab, als den er genannt hatte: Er war ein Einzelgänger und arbeitete am liebsten allein. Zwar empfand er die selbstgewählte Isolation durchaus nicht immer als angenehm, doch war ihm die Gesellschaft anderer in der Regel noch weitaus unangenehmer. Obwohl es natürlich Ausnahmen gab. Lewis zum Beispiel. Warum er die Gesellschaft des Sergeant so gut aushielt, ja es sogar genoß, mit ihm zusammenzusein, hätte er nur schwer sagen können. Vielleicht lag es daran, daß er so anders war als er selbst — ausgeglichen, gutmütig, methodisch, ehrlich, bescheiden und, nun ja, auch das gehörte zu seinem Charakter, auch ein ganz klein wenig stur. Vor allem aber war er von einem rührenden Pflichteifer erfüllt, wie Morse gerade heute nachmittag wieder hatte feststellen können. Da hatte Lewis nämlich darauf bestanden, bis zum Schluß dazubleiben, egal wie lange, da es ja sein konnte, daß Morse ihn vielleicht doch noch brauchen würde. Was dann am Ende aber nicht der Fall war. Denn, wie Morse seinem Sergeant auch gleich gesagt hatte, natürlich war es möglich, daß sie Glück hatten und die Froschmänner etwas zutage forderten, was ihnen eine Identifizierung des Toten erlaubte und einen Anhaltspunkt bei den Ermittlungen gab, so daß sie an die Arbeit gehen konnten. Aber das war eher unwahrscheinlich. Und tatsächlich hatten die Polizeitaucher auf dem verschlammten Grund des Kanals nichts entdecken

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