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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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zurück ist. Wir versuchen nach Möglichkeit, die Zeiten unserer Abwesenheit so zu legen, daß sie sich nicht überschneiden, damit wenigstens einer von uns für Notfälle im College erreichbar ist. Im übrigen kann ich die unterrichtsfreie Zeit jetzt sehr gut gebrauchen, um endlich einmal all das aufzuarbeiten, was während des Trimesters liegengeblieben ist. Ich weiß, daß viele uns akademische Lehrer wegen unserer langen Ferien für gutbezahlte Faulenzer halten; sie ahnen eben nicht, welche Menge Arbeit in einem College außer der Lehrtätigkeit noch anfällt. Aber Ihnen sage ich damit ja sicher nichts Neues», fügte er mit herablassendem Lächeln hinzu.
    Morse nickte und dachte, daß es ihm, eine gewisse Häufigkeit ihrer Begegnungen vorausgesetzt, nicht allzu schwer fallen würde, gegenüber diesem sich so weltlich gebenden geistlichen Herrn einen tiefen Haß zu entwickeln.
    «Falls Sie noch weitere Fragen haben, stehen wir alle hier Ihnen selbstverständlich jederzeit gern zur Verfügung», fuhr der Stellvertretende Rektor fort. «Im übrigen würden wir es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie uns ab und zu über den Fortgang Ihrer Ermittlungen unterrichten würden — im Rahmen des Erlaubten selbstverständlich.»
    «Da gibt es nichts zu unterrichten — jedenfalls vorerst nicht», sagte Morse schroff.
    «Dann könnten Sie mir aber vielleicht sagen, wieso sich die Nachforschungen Ihres Sergeant auch auf Westerbys Räume erstrecken.»
    «Ach, entschuldigen Sie, das hätte ich Ihnen wirklich erklären müssen», sagte Morse in einem Ton, der seine Worte Lügen strafte. «Der Grund, warum wir uns für Westerbys Räume interessieren, ist, daß wir inzwischen nicht mehr ganz so sicher sind, ob es sich bei dem Toten auch wirklich um Browne-Smith handelt.»
    «Ach, tatsächlich? Interessant!» sagte der Stellvertretende Rektor mit bewunderungswürdiger Fassung.
    Als Morse den Innenhof überquerte, hatte er das unangenehme Gefühl, als ob der Vize ihm von seinem Fenster aus nachsehe. Er meinte deutlich, seinen Blick im Rücken spüren zu können. Draußen vor dem College wandte er sich nach links und ging die wenigen hundert Meter zum Mitre, wo er mit Lewis verabredet war. Der Sergeant würde vermutlich noch nicht da sein, aber das störte ihn nicht weiter; ein oder zwei Bier würden ihm die Wartezeit schon verkürzen.
    Lewis war mit Hilfe des Schlüssels ohne Schwierigkeit in Browne-Smiths Zimmer gelangt. Er sah sich nur kurz um und holte dann das dunkelblaue Jackett, mit dem die Leiche bekleidet gewesen war, aus der schützenden Plastikhülle und hielt es gegen die Jacketts in Browne-Smiths Kleiderschrank. Der Vergleich zeigte, daß es nicht nur dieselbe Länge und Weite hatte wie die im Schrank, es war auch in demselben Stil angefertigt, wies im Rücken einen Schlitz auf wie sie und hatte dieselben schmalen Revers. Die Schlußfolgerung lag nahe, daß das dunkelblaue Jackett tatsächlich Browne-Smith gehört hatte. Nachdem Lewis die Kleidungsstücke wieder ordentlich in die Reihe gehängt hatte, ging er auch alle übrigen Sachen noch durch. Dabei stellte er fest, daß Browne-Smith fünf Paar Schuhe der Größe Neun besaß sowie vier Paar brandneue Baumwollsocken - dunkelblau, mit zwei hellen Streifen am oberen Rand.
    Westerbys Räume waren inzwischen vollständig leergeräumt, nur die Abdrücke auf dem verblichenen dunkelbraunen Teppichboden, den man zurückgelassen hatte, erinnerten an die schweren Möbel, die hier gestanden hatten. In der Küche deuteten nur ein jetzt leeres Nescaféglas und ein Plastiklöffel daraufhin, daß diese Räume einmal bewohnt gewesen waren.
    Im Sekretariat erfuhr Lewis auf seine, wie er meinte, mit größter Diskretion gestellten Fragen, daß Dr. Browne-Smith in der Tat genau so einen Anzug besessen habe wie der, den der Sergeant da zeige. Vor allem die Sekretärin des Rektors war sich ihrer Sache ganz sicher.
    Als Lewis seinen Schlüssel an der Pförtnerloge abgab, saß dort noch derselbe junge Mann wie vorhin. Auf Lewis’ Frage nach der Firma Gilbert wurde er sogleich äußerst gesprächig: Soviel er wisse, sei Mr. Gilbert mindestens vier- oder fünfmal selbst dagewesen, doch inzwischen sei der Umzug ja abgewickelt.
    «Was ich im übrigen witzig finde, Sergeant: Mr. Gilbert und Ihr Chef sehen sich ja zum Verwechseln ähnlich — beide mit dem Schal vorm Gesicht...»
    Lewis nickte. «Die Zähne können einem manchmal übel mitspielen; und ein Abszeß an der Zahnwurzel ist das

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